Unsere Frage lautet: Ist es möglich, sich selbst vollständig, ganz zu sehen, mit allen Winkeln und geheimen Verstecken, als ein Ganzes? Ist es möglich, die ganze Struktur des „Ich“, des „Selbst“, des „Mittelpunkts“ zu sehen, der spaltet, zu so vielem tendiert, widersprüchliche Wünsche, Ziele, Schuld und Ängste hegt? Ist es möglich, das Ganze unmittelbar zu sehen und dadurch all dem ein Ende zu setzen? Wenn man begreifen will, ob es möglich ist, die ganze Struktur des „Ich“, des „Selbst“ zu sehen, muss man die Kunst des Sehens lernen; nur sehen zu können, nur zu hören, ohne Regung, ohne Schlussfolgerung, ohne Rechtfertigung – nur hören. Haben Sie jemals irgend jemandem so zugehört?
Es bedeutet, mit dem Herzen, mit dem Verstand, mit den Nerven, mit dem ganzen Sein zuhören; nicht nur jetzt, sondern jedem Politiker der Welt, Ihrer Frau, Ihren Kindern, dem Wind in den Bäumen –zuzuhören. In diesem Zuhören ist Aufmerksamkeit, und in der Aufmerksamkeit gibt es keine Grenze. Dann brauchen Sie keine Drogen zu nehmen, um Ihr Bewusstsein zu erweitern, und all diese Scherze nicht zu treiben.
FRAGE: Können sie darauf eingehen, was Veränderung bedeutet?
KRISHNAMURTI: Ich muss mich sehr kurz fassen. Zunächst einmal ist in dieser Welt, in der modernen Welt der Technik, die Veränderung ungeheuer groß. Es gibt also die Veränderung durch die Technik. Es muss aber eine andere, eine restlose psychische und daher soziale Revolution stattfinden. Ein Mann mit zehn Kindern, der in einem Slum lebt, hat der eine Chance, seine Konditionierung und all das loszuwerden?
Nicht die geringste! Eine soziale Änderung wird es geben müssen. Aber sie bringt psychisch, innerlich zwei Probleme mit sich. Psychisch müssen wir völlig umgekrempelt werden, denn so, wie wir sind, sind wir zu gierig, zu neidisch, zu ängstlich, zu sehr Kummer beladen. Sie wissen es ja, so sieht es in unserer Psyche aus. Das muss sich ändern. Wir müssen davon völlig frei werden – völlig frei, und damit wird sich unser innerstes Wesen, unser Denken und Fühlen völlig ändern. Oder gibt es einen ewigen, zeitlosen Modus, den wir nicht kennen, den wir Änderung, Wandlung nennen? Ich will jetzt nicht darauf eingehen, es führt zu weit.