Handeln ist Beziehung 3 – Die moderne Welt kultiviert ein leeres Herz, und das ist das Unglück unserer Existenz. Wir sind oberflächlich, intellektuell brillant, zu großen Erfindungen fähig, produzieren jedoch die zerstörerischsten Mittel, um uns gegenseitig zu vernichten und immer mehr Trennungen zwischen uns zu schaffen.
Aber wir wissen nicht, was es heißt zu lieben, wir haben kein Lied in unseren Herzen. Wir spielen Schallplatten ab oder hören Radio, aber wir singen nicht, weil unser Herz ist leer. Wir haben eine Welt geschaffen, die völlig verwirrt und unglücklich ist, und unsere Beziehungen sind fadenscheinig und oberflächlich. Diese modernen Welt ist das Ergebnis unseres Denken und Handelns. Sie sind die selbstprojizierten Ausdrücke unserer selbst.
Es kann also keine Veränderung in der Welt da draußen geben, wenn es keine Veränderung in uns selbst gibt. Diese Veränderung herbeizuführen ist nicht Sache eines Experten, Spezialisten, Führers oder Priesters. Es ist die Angelegenheit jedes Einzelnen von uns. Wenn wir das anderen überlassen, übernehmen wir keine Verantwortung und unsere Herzen werden leer.
Ein leeres Herz mit einem technischen Verstand ist kein schöpferischer Mensch. Weil wir diesen schöpferischen Zustand verloren haben, ist die von uns geschaffenen Welt voller Unglück und Verwirrung, von Kriegen zerrissen und von Klassen- und Rassenunterschieden gespalten. Es liegt daher in unserer Verantwortung, einen radikalen Wandel in uns selbst herbeizuführen.
Frage: Ich bin in einem Konflikt und leide. Seit Tausenden von Jahren wird uns von den Ursachen des Leidens und dem Weg zu seiner Beendigung erzählt, und doch sind wir heute dort, wo wir sind. Ist es möglich, dieses Leiden zu beenden?
Krishnamurti: Ich frage mich, wie viele von uns sich bewusst sind, dass wir leiden. Bist du dir bewusst – nicht theoretisch, sondern tatsächlich – dass du in einem Konflikt steckst? Und wenn ja, was tust du dann? Du versuchst, ihm zu entkommen, nicht wahr?
In dem Moment, in dem man sich eines Konflikts und des Leidens bewusst ist, versucht man, es durch intellektuelle Beschäftigungen, durch Arbeit oder durch die Suche nach Vergnügen und Genuss zu vergessen. Man sucht einen Ausweg aus dem Leiden; und alle Auswege sind letztlich dasselbe, ob sie nun kultiviert oder grob sind.
Doch was verstehen wir unter Konflikt? Wann merkt man, dass man sich in einem Konflikt befindet?
Ein Konflikt entsteht jedenfalls nur dann, wenn ein Ich-Bewusstsein vorhanden ist. Es gibt nur dann ein Konfliktbewusstsein, wenn das „Ich“ sich plötzlich seiner selbst bewusst wird. Das Ich-Bewusstsein kommt dann ins Spiel, wenn es einen Konflikt gibt. Solange alles ohne Widerspruch, ohne Frustration abläuft, ist es kein Ich in Aktion. Dann führt man ein eintöniges, oberflächliches, langweiliges und routinemäßiges Leben, nicht wahr?
Solange ich nicht herumgeschubst werde, solange ich bekomme, was ich will, bin ich nicht im Konflikt; aber in dem Moment, in dem ich blockiert werde, bin ich mir meines Ich-Bewusstseins bewusst und werde unglücklich. Mit anderen Worten, ein Konflikt entsteht erst dann, wenn das Ich mit Frustration konfrontiert wird.
Was wollen wir also? Wir wollen Aktivitäten, die sich ständig selbst erfüllen, ohne Frustration. Das heißt, wir wollen leben, ohne blockiert zu sein. Mit anderen Worten: Wir wollen, dass sich unsere Wünsche erfüllen. Und solange diese Wünsche nicht erfüllt werden, gibt es Widersprüche ubd Konflikte.
Unser Problem ist also, wie wir unsere Wünsche ohne Frustration verwirklichen können. Ich will etwas besitzen – Güter, eine Person, einen Titel oder was auch immer. Und wenn ich bekomme und immer wieder bekomme, was ich will, dann bin ich glücklich, dann gibt es keinen Widerspruch. Was wir also suchen, ist Selbstverwirklichung, und solange wir diese erreichen können, gibt es keinen Konflikt.
Nun stellt sich die Frage: Gibt es so etwas wie Selbstverwirklichung?
Kann ich etwas erreichen, etwas werden, etwas verwirklichen? Erfordert dieses Verlangen nicht einen ständigen Kampf? Das heißt, solange ich mich danach sehne, etwas zu werden, etwas zu erreichen, mich zu verwirklichen, gibt es unweigerlich Frustration, Angst und Konflikte.
Was ist denn Selbstverwirklichung genau?
Selbstverwirklichung als Erfüllung aller meiner Wünsche ist die Erweiterung des Ichs. Das „Ich“ wird größer, wichtiger. Dieses „Ich“ wird zum Gouverneur, zur Führungskraft, zum Bankmanager und so weiter.
Wenn man etwas tiefer in die Materie eindringt, sieht man, dass es, solange unser Handeln vom Ich bestimmt wird, d.h. solange es ein Selbstbewusstsein im Handeln gibt, auch Frustration und damit Leiden geben muss. Solange das Denken mit seiner eigenen Verbesserung, seiner eigenen Verwandlung, seinem eigenen Fortschritt beschäftigt ist, sind Konflikte und Widersprüche unvermeidlich.
Die Frage ist also nicht, wie wir das Leiden überwinden oder den Konflikt beiseite schieben können, sondern wie wir die Natur des „Ich“, verstehen. – Ich hoffe, ich mache dies nicht zu kompliziert.
Wenn wir nur versuchen, den Konflikt zu überwinden, das Leiden beiseite zu schieben, verstehen wir die Natur von dem, was das Leiden verursacht, nicht. Der Versuch, dem Leiden durch Rituale, Vergnügungen, Glaubenssätze oder andere Formen der Ablenkung zu entkommen, führt die Gedanken immer weiter weg vom zentralen Thema, nämlich sich selbst zu verstehen
Wir kommen also auf die offensichtliche Tatsache zurück, dass es, solange ich mich selbst nicht verstehe, Konflikte und Leiden gibt, Deshalb ist es viel wichtiger, sich selbst zu verstehen, als theoretisch zu wissen, wie man Leid und Konflikte überwinden könnte. Auf all das werden wir später noch zu sprechen kommen.
Um das Leiden zu verstehen, müssen alle Fluchtversuche aufgegeben werden. Denn nur dann ist man in der Lage, sich selbst im eigenen Verhalten zu sehen. Und wenn man sich selbst im Handeln erkennt, findet man einen Weg, das Denken vollkommen von allen Konflikten zu befreien und in einem Zustand des Glücks, der Wirklichkeit ist, zu leben.
Jiddu Krishnamurti Handeln das immer richtig ist (Deutsche Übersetzung) YouTube