Dies Problem der Liebe

Dies Problem der Liebe

Dies Problem der Liebe – Teil 2

Mehrere Monate vergingen, ehe wir uns wieder begegneten. Die Zeitungen waren voll von seinem Tode gewesen, jetzt aber war er schon vergessen. Sein Tod hatte Spuren auf ihrem Antlitz hinterlassen, und bald genug brachen Bitterkeit und Groll aus ihrer Rede hervor.

»Ich habe zu niemandem über all das gesprochen«, erklärte sie, »ich zog mich einfach von meiner ganzen früheren Tätigkeit zurück und begrub mich auf dem Lande. Es war schrecklich für mich, und ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, wenn ich mich jetzt zu Ihnen ausspreche. Mein Leben lang bin ich ungeheuer ehrgeizig gewesen und habe mich vor meiner Ehe allen möglichen Wohltätigkeiten ergeben. Bald nach meiner Heirat, und hauptsächlich meinem Mann zuliebe, habe ich all die kleinliche Zänkerei in der Wohltätigkeit aufgegeben und mich mit Leib und Seele in die Politik gestürzt. Es war ein so viel größeres Kampfgebiet, und ich genoss jede Minute mit ihrem Auf und Ab, ihren Ränken und Eifersüchteleien.

Mein Mann war in seiner ruhigen Art genial, und dank meines ehrgeizigen Strebens stiegen wir immer höher hinauf. Da wir keine Kinder hatten, war meine Zeit und mein Denken ausschließlich der Förderung meines Mannes gewidmet. Wir arbeiteten glänzend zusammen und ergänzten einander in außerordentlicher Weise.

Alles ging genauso, wie wir es geplant hatten, aber oft nagte die Furcht an mir, es gehe zu gut. Dann eines Tages vor zwei Jahren, als mein Mann wegen einer geringen Störung zum Arzt ging, hörte er, er habe ein Gewächs, das unmittelbar untersucht werden müsse. Es war bösartig. Eine Zeitlang gelang es uns, alles streng geheim zu halten, aber vor sechs Monaten flackerte es wieder auf, und wurde von da an zu einer entsetzlichen Prüfung.

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Als ich das letzte Mal bei Ihnen war, fühlte ich mich zu elend und gequält, um richtig zu denken, aber jetzt kann ich vielleicht alles etwas klarer überblicken. Ihre Frage damals hat mich tiefer aufgerührt, als ich sagen kann. Sie erinnern sich wohl, dass Sie mich fragten, ob ich meinen Mann liebte oder all das, was ihn begleite. Ich habe sehr viel darüber nachgedacht; aber ist das Problem nicht zu verwickelt, als dass man es allein lösen könnte?«

Vielleicht ja; doch ehe man nicht herausgefunden hat, was Liebe ist, wird es nichts als Schmerz und traurige Enttäuschung geben. Und es ist schwer zu unterscheiden, wo Liebe endet und Verwirrung beginnt, nicht wahr?

»Sie fragen, ob die Liebe zu meinem Manne nicht mit meiner Liebe zu Rang und Macht gemischt war. Habe ich meinen Mann nur geliebt, weil er mir die Mittel zur Erfüllung meines Ehrgeizes gab? Es war teilweise das und teilweise Liebe zu dem Manne. Liebe ist eine Mischung von so vielen Dingen.«

Ist es wirklich Liebe, wenn man sich mit einem andern vollkommen identifiziert, oder ist das Identifizieren nur eine indirekte Art, sich selbst Bedeutung zu verleihen? Ist es wirklich Liebe, wenn man sich in Einsamkeit grämt und den Verlust der Dinge, die scheinbar dem Leben Sinn verleihen, nicht verschmerzen kann? Von Selbsterfüllung und allem, wovon das Ich sich nährt, abgeschnitten zu werden, heißt sein Selbstgefühl zu verleugnen; und das führt zu Enttäuschung, Bitterkeit und Absonderung im Leid. Ist solches Elend Liebe?

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»Sie versuchen, mir klar zu machen, dass ich meinen Mann überhaupt nicht geliebt habe, nicht wahr? Wenn es so deutlich ausgesprochen wird, bin ich wirklich entsetzt über mich selber. Kann man es aber anders ausdrücken? Ich habe nie darüber nachgedacht, und als der Schlag fiel, erfuhr ich zum ersten Mal in meinem Leben wirkliches Leid. Natürlich war die Kinderlosigkeit eine große Enttäuschung für mich gewesen, aber sie war durch die Tatsache gemildert, dass ich meinen Mann und meine Arbeit hatte; diese beiden wurden mir scheinbar zu Kindern. Der Tod ist ein erschreckender Abschluss.

Plötzlich bin ich ganz allein, ohne etwas, wofür ich arbeiten könnte – beiseitegesetzt und vergessen. Heute erkenne ich die Wahrheit in Ihren Worten, hätten Sie aber dasselbe vor drei oder vier Jahren zu mir gesagt, so hätte ich nicht auf Sie gehört. Ich bin neugierig, ob ich sogar jetzt richtig zugehört oder nur nach Gründen zu meiner Rechtfertigung gesucht habe! Darf ich wiederkommen und noch einmal mit Ihnen sprechen?«

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