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Die Suche nach Erfahrungen

Wir alle wünschen uns Erfahrungen irgendwelcher Art – mystische Erfahrung, religiöse Erfahrung, sexuelle Erfahrung, das Erlebnis, viel Geld, Macht, Rang und Vorherrschaft zu besitzen. Die Suche nach Erfahrungen ist eine unendliche Reise.

Wenn wir älter werden, mögen wir unsere körperlichen Gelüste aufgegeben haben, aber dann verlangen wir nach ausgedehnteren, tieferen, bedeutungsvolleren Erfahrungen und erproben die verschiedensten Mittel, um sie zu erlangen, zum Beispiel unser Bewusstsein auszuweiten, was eine ausgesprochene Kunst ist, oder wir nehmen Rauschmittel verschiedener Art.

Das ist ein alter Trick aus uralten Zeiten – ein Stück von einem Blatt zu zerkauen oder das neueste chemische Präparat zu erproben, um dadurch eine vorübergehende Veränderung der Gehirnfunktion zu erreichen, eine größere Sensitivität und erhöhte Wahrnehmung, die uns den trügerischen Schein der Realität vermitteln.

Die Forderung nach Erfahrungen

Dieses Verlangen nach immer mehr Erfahrungen verrät die innere Armut des Menschen. Wir glauben, dass wir durch Erfahrungen uns selbst entrinnen können; aber diese Erfahrungen sind durch das begrenzt, was wir tatsächlich sind.

Wenn der Mensch nichtssagend, eifersüchtig, ängstlich ist, mag er das neueste Rauschmittel einnehmen, aber er wird doch nur seine eigene kleine Welt sehen, seine eigenen unbedeutenden Projektionen, die seinem bedingten Hintergrund entstammen.

Die meisten Menschen verlangen nach bleibenden Erfahrungen, die sie völlig befriedigen und die durch das Denken nicht zerstört werden können. Hinter dem Verlangen nach Erfahrung liegt also der Wunsch nach Befriedigung; das Verlangen nach Befriedigung bestimmt die Erfahrung, und darum müssen wir nicht nur alles verstehen, was mit dem Verlangen nach Befriedigung zusammenhängt, sondern auch das, was erfahren wird.

Tiefe Befriedigung zu erleben ist ein großer Genuss. Je nachhaltiger, tiefer und breiter die Erfahrung ist, um so wohltuender ist sie. So diktiert also unser Verlangen nach Genuss die Art der Erfahrung, die wir zu erlangen suchen.

Der Genuss ist der Maßstab, nach dem wir die Erfahrung messen. Alles Messbare liegt in den Grenzen des Denkens und ist sehr dazu geeignet Illusionen zu schaffen.

Man:

  • kann erstaunliche Erlebnisse haben und doch vollkommen irregeführt sein.
  • hat zwangsläufig nur Visionen, die der eigenen Voreingenommenheit entsprechen.
  • sieht Christus oder Buddha oder an wen man sonst gerade glaubt, und je größer der Glaube, um so stärker sind die Visionen, die Projektionen der eigenen Wünsche und Triebe sein.

Wenn man also etwas Fundamentales sucht, zum Beispiel die Wahrheit, und dabei das Glücksgefühl als Maßstab nimmt, hat man bereits die gewünschte Erfahrung programmiert und deshalb hat sie keine Gültigkeit mehr.

Was ist Erfahrung?

Was verstehen wir unter Erfahrung? Liegt darin irgend etwas Neues oder Ursprüngliches?

Erfahrung ist ein Bündel von Erinnerungen, die auf eine Herausforderung antworten und kann nur entsprechend ihrer Vorgeschichte antworten. Je geschickter man darin sind, die Erfahrung zu deuten, um so stärker wird sie.

Also muss man nicht nur die Erfahrung eines anderen in Zweifel ziehen, sondern auch die eigene. Wenn man eine Erfahrung nicht als solche erkennen, ist es gar keine Erfahrung.

Jede Erfahrung ist bereits erfahren worden, sonst würde man sie nicht erkennen. Man wertet eine Erfahrung als gut, schlecht, schön, heilig und so fort gemäß der eigenen Voreingenommenheit, und darum ist das, was man als Erfahrung erkennt, zwangsläufig etwas altes.

Wenn wir danach verlangen, die Wirklichkeit zu erleben – was wir doch alle tun, nicht wahr? -, dann müssen wir sie, um sie zu erfahren,bereits kennen; und in dem Augenblick, da wir sie erkennen, haben wir sie bereits projiziert, und daher ist sie nicht wahrhaftig echt, weil sie noch im Bereich des Denkens und der Zeit liegt.

Wenn das Denken über die Wirklichkeit nachzudenken kann, dann kann es nicht Wirklichkeit sein. Wir können nicht eine neue Erfahrung wiedererkennen. Es ist unmöglich. Wir erkennen nur etwas wieder, das wir bereits gekannt haben; und wenn wir sagen, dass wir eine neue Erfahrung gehabt haben, ist sie nicht neu.

Wenn wir weitere Erfahrungen durch Ausdehnung des Bewusstseins suchen, wie es durch verschiedene psychedelische Drogen getan wird, liegen diese Erfahrungen noch im Bereich des Bewusstseins und sind darum sehr begrenzt.

Wir haben also eine grundlegende Wahrheit entdeckt, nämlich dass ein Geist, der nach weiteren und tieferen Erfahrungen sucht und sich danach sehnt, ein sehr oberflächlicher und stumpfer Geist ist, weil er immer mit seinen Erinnerungen lebt. 

Leben ohne Erfahrungen

Was würde nun mit uns geschehen, wenn wir überhaupt keine Erfahrung hätten? Wir sind von Erfahrungen, von Herausforderungen abhängig, um uns wach zu halten. Wenn es in uns keine Konflikte, keine Veränderungen, keine Störungen gäbe, würden wir alle fest schlafen. So sind Herausforderungen für die meisten von uns notwendig. Wir glauben, dass unser Geist ohne sie stumpfsinnig und schwerfällig werden würde, und darum sind wir von Herausforderungen, von Erfahrungen abhängig, die uns mehr Anreiz, größere Intensität geben, die unseren Geist schärfen sollen.

Völlige Wachheit

Aber diese Abhängigkeit von Herausforderungen und Erfahrungen, die uns wach halten sollen, macht unseren Geist tatsächlich nur stumpfer; in Wirklichkeit werden wir dadurch überhaupt nicht wach gehalten.

So frage ich mich, ob es möglich ist, mich völlig wach zu halten, nicht oberflächlich in einigen Momenten meines Seins, sondern völlig wach, ohne dass es einer Herausforderung oder Erfahrung bedarf. Dazu gehört große Sensibilität, sowohl im Körperlichen wie im Seelischen; es bedeutet, dass ich von jedem Verlangen frei sein muss; denn in dem Augenblick, da ich etwas fordere, erzeuge ich Erfahrung. Um vom Verlangen und seiner Befriedigung frei zu sein, ist es notwendig, dass ich mich selbst erforsche und die Natur des Verlangens verstehe.

Dualität

Verlangen wird aus der Dualität geboren: „Ich bin unglücklich, und ich muss glücklich sein.“ In diesem Verlangen, dass ich glücklich sein muss, liegt das Unglück. Wenn man eine Anstrengung macht, um gut zu sein, liegt in eben dieser Güte ihr Gegensatz, das Böse enthalten. Alles, was man bejaht, enthält seinen Gegensatz, und die Anstrengung, diesen Zwiespalt zu überwinden, verstärkt das, wogegen man kämpft.

Wenn man nach einer Erfahrung der Wahrheit oder Wirklichkeit verlangt, entspringt dieses Verlangen der Unzufriedenheit mit dem, was ist, und daher erzeugt das Verlangen sein Gegenteil. Und im Gegenteil liegt das, was gewesen ist. Man muss also von diesem unaufhörlichen Verlangen frei sein, sonst kommt der Engpass der Dualitäten nie zu einem Ende. Das bedeutet, sich selbst so vollkommen zu kennen, dass der Geist nicht länger sucht.

Solch ein Mensch verlangt nicht mehr nach Erfahrung; er kann keine Herausforderung herbeiwünschen, er kenntkeine Herausforderung. Er sagt nicht mehr: „Ich schlafe“, oder „Ich bin wach“ Er ist vollkommen das, was er ist. Nur der enttäuschte, enge, oberflächliche Geist sucht in seiner Beschränktheit immer nach dem „Mehr“. Ist es nun möglich, in dieser Welt ohne das „Mehr“ zu leben – ohne dieses ständige Vergleichen? Sicherlich ist es möglich! Aber man muss es selbst herausfinden.

Meditationsschulen

Dieses ganze Problem zu erforschen ist Meditation. Man ist mit diesem Wort sowohl im Osten wie im Westen in einer höchst unglücklichen Weise umgegangen.

Es gibt verschiedene Meditationsschulen, verschiedene Methoden und Systeme. Es gibt Systeme, die sagen: „Beobachte die Bewegung Deiner großen Zehe, beobachte sie, beobachte sie, beobachte sie.“ Es gibt andere Systeme, die empfehlen, in einer ganz bestimmten Haltung zu sitzen, regelmäßig zu atmen oder Bewusstheit zu üben. Das alles ist äußerst mechanisch. Eine andere Methode gibt einem ein bestimmtes Wort mit dem Hinweis, dass man eine ungewöhnliche transzendentale Erfahrung haben wird, wenn man ständig wiederholt.

Selbsthypnose

Das ist reiner Unsinn. Es ist eine Art von Selbsthypnose. Wenn Sie das Wort Amen oder Om oder Coca-Cola unaufhörlich wiederholen, werden Sie gewiß eine bestimmte Erfahrung haben, weil Ihr Geist durch die Wiederholung ruhig wird. Es ist ein wohlbekanntes Phänomen, das seit Jahrtausenden in Indien praktiziert worden ist – Mantra-Yoga wird es genannt. Durch Wiederholung können Sie bewirken, dass der Geist freundlich und sanft wird, aber er bleibt ein kleinlicher, trockener, trivialer Geist.

Sie mögen ebensogut einen Zweig, den Sie im Garten aufgelesen haben, auf den Kaminsims legen und ihm jeden Tag eine Blume opfern. Nach einem Monat werden sie ihn anbeten, und wenn Sie es versäumen, eine Blume davor niederzulegen, wird es zu einer Sünde werden.

Kein System

Meditation heißt nicht, einem System zu folgen; sie besteht nicht in ständiger Wiederholung und Nachahmung. Meditation ist keine Konzentration. Es ist eine der Lieblingsmethoden einiger Meditationslehrer, darauf zu bestehen, dass ihre Schüler Konzentration erlernen – was so viel heisst, wie den Geist auf einen Gedanken zu fixieren und alle anderen Gedanken zu vertreiben. Das ist eine höchst dumme, hässliche Sache, die jeder Schuljunge tun kann, weil er dazu gezwungen wird.

Es bedeutet, dass man sich ständig im Kampf befindet zwischen der Beharrlichkeit einerseits, mit der man sich konzentrieren muss, und dem Geist andererseits, der zu allen möglichen Dingen abirrt. Wohingegen es allein darauf ankommt, ist, sich jeglicher Regung des Geistes gewahr zu sein wo immer er auch herumwandern mag. Wenn sich der Geist verliert, bedeutet es, dass man an etwas anderem interessiert sind.

wacher Geist = Meditation

Meditation:

  • verlangt einen erstaunlich wachen Geist.
  • ist das Verstehen des Lebens in seiner Ganzheit in der jede Art der Zersplitterung verschwunden ist.
  • ist keine Gedankenkontrolle, denn wenn das Denken kontrolliert wird, erzeugt es Konflikt.

Aber wenn Sie die Struktur und den Ursprung des Denkens verstehen, worüber wir bereits gesprochen haben, dann mischt sich das Denken nicht ein. Dieses Verstehen der Denkstruktur ist an sich Disziplin, und das ist Meditation.

Meditation bedeutet, eines jeden Gedanken, eines jeden Gefühls gewahr zu sein, niemals zu sagen, diese seien richtig oder falsch, sondern sie einfach zu beobachten und ihnen mit ihnen zu fliessen.

Meditation = Stille

In diesem Schauen beginnt man alle Regungen des Denkens und Fühlens zu verstehen. Und aus diesem Gewahrsein kommt Stille.

Eine Stille, die vom Denken zustande gebracht wurde, ist Stagnation, ist unfruchtbar; aber die Stille, die entsteht, wenn das Denken seine eigene Wurzel, das Wesen des Lebens erfasst hat, wenn es begriffen hat, dass alles Denken niemals frei, sondern immer mit der Vergangenheit beladen ist – diese Stille ist Meditation, in der es keinen Meditierenden gibt, weil der Geist sich von der Vergangenheit entleert hat.

Wenn Sie diesen Text eine Stunde lang aufmerksam gelesen haben, ist das Meditation. Wenn Sie nur ein paar Worte herausgepickt haben und ein paar Ideen gesammelt haben, um darüber später nachzudenken, dann ist das keine Meditation mehr.

Meditation = vollkommene Aufmerksamkeit

Meditation ist ein Zustand des Geistes, der alles mit vollkommener Aufmerksamkeit anschaut, als Ganzes, nicht teilweise. Doch niemand kann einen lehren, aufmerksam zu sein. Wenn irgendein System lehrt, wie man achtsam sein soll, dann achtet man auf das System und das ist nicht Achtsamkeit.

Meditation = Lebenskunst

Meditation ist eine der größten Lebenskünste, vielleicht die größte, und man kann sie unmöglich von jemandem erlernen; darin liegt ihre Schönheit. Sie hat keine Technik und daher keine Autorität. Wenn Sie sich selbst kennenlernen, sich selbst beobachten, sich betrachten, wie Sie gehen, wie Sie essen, was Sie sagen, das Geschwätz, den Haß, die Eifersucht – wenn Sie das alles in sich ohne jede Rangfolge wahrnehmen -, ist das Teil der Meditation.

Man kann also überall meditieren, wenn man in einem Bus sitzt oder ich einem Wald voller Licht und Schatten spaziert oder dem Gesang der Vögel lauscht oder das Gesicht der Ehefrau oder eines Kindes blickt.

Meditation = Liebe

Meditation zu verstehen heißt zu lieben, und Liebe ist nicht das Produkt von Systemen und Gewohnheiten; sie wird nicht durch das Befolgen einer Methode erzeugt. Liebe kann nicht durch Denken entwickelt werden. Liebe kann vielleicht im vollkommenen Schweigen entstehen, in einer Stille, in der der Meditierende gänzlich fehlt. Und der Geist kann nur still sein, wenn er die Regungen seines Denkens und Fühlens versteht.

Um diese Regungen zu verstehen, dürfen wir sie nicht verurteilen, während wir sie beobachten. Die Art zu schauen ist wahre Disziplin, und diese Art von Disziplin ist fliessend, frei, es ist nicht die Disziplin der starren Anpassung.

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