Der Tod – Teil 2
Kann nun dieser Inhalt sich selbst ausräumen oder durch einen Akt der Wahrnehmung ausgeräumt werden? Kann dieser ganze Inhalt einschließlich seines unbewussten Anteils beobachtet werden? Ich kann bewusst den Inhalt meines Bewusstseins wahrnehmen, mein Haus, meinen Besitz, meine Frau, meine Kinder, meinen Job, die Dinge, die ich erworben, die ich erlernt habe. Ich kann all diese Dinge bewusst wahrnehmen. Es gibt aber auch einen verborgenen Inhalt in den tiefsten Winkeln meines Bewusstseins, der rassisch, kollektiv, anerzogen ist, all die Dinge, die ich unbewusst angesammelt habe, die Einflüsse, der Druck, die Anspannungen des Lebens in einer Welt, die korrupt ist. All das ist eingesickert, all das hat sich darin angesammelt.
A. W. Anderson: Sowohl persönlich als auch unpersönlich. Das schließt sowohl das ein, was die Tiefenpsychologen das kollektive Unbewusste nennen, wie auch das persönliche Bewusstsein.
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Krishnamurti: Das Kollektive auch. Kann das nun alles enthüllt werden? Denn das ist sehr wichtig. Denn wenn der Verstand wirklich die volle Bedeutung des Todes verstehen und begreifen will, seine ungeheure Größe, die hohe Qualität eines Geistes, der sagt: »Ja, das ist beendet«, dann gibt ihm das eine enorme Vitalität und Energie.
Meine Frage lautet also: Kann der Geist den gesamten Inhalt vollständig wahrnehmen, den versteckten wie den offenliegenden, den kollektiven, den persönlichen, den rassischen, den flüchtigen – das Ganze? Wir behaupten gewöhnlich, es sei durch Analyse möglich. Ich habe gesagt: Analyse ist Paralyse, ist Lähmung. Denn jede Analyse muss perfekt, muss abgeschlossen sein. Und man hat Angst, sie könne nicht abgeschlossen sein. Und wenn man sie nicht vollständig abgeschlossen hat, nimmt man sie als Erinnerung mit, die dann den nächsten Zwischenfall analysiert. Jede Analyse bringt daher ihre eigene Unvollständigkeit mit sich. Darum ist sie völlig lähmend.
A. W. Anderson: Mich berührt sehr, dass eine sehr klare Beziehung zwischen dem Tod, wie wir ihn normalerweise betrachten, und dem besteht, was Sie über die endlose Folge von analytischen Handlungen sagten. Wir betrachten den Tod als Endpunkt einer Linie. Wir denken lateral. Im Gegensatz dazu sagten Sie, man müsse dies vertikal sehen. Und wenn wir den Tod nun aus dieser neuen Perspektive betrachten, sehen wir den Tod nicht länger nur als einen Moment des Endens. Es findet hier ein totaler qualitativer Wandel statt. Es kommt nicht etwas zu einem Ende, das wir bedauern müssen, als hätten wir etwas Wertvolles verloren.
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Krishnamurti: Ja, ich verlasse meine Frau und meine Kinder und meinen Besitz, mein Bankkonto. Wenn man sich sehr tief gehend damit befasst, dann gibt es diesen Inhalt, der mein erworbenes, ererbtes, aufgebürdetes, beeinflusstes Bewusstsein ist, mit allem an Propaganda, Bindung, Lösung, Angst, Furcht, Vergnügen und auch den versteckten Dingen. Ich sehe, da Analyse in Wirklichkeit Paralyse ist – dies ist nicht eine intellektuelle Vermutung, sondern es ist wirklich eine unvollständige Handlung –, kann sie niemals eine vollständige Handlung hervorbringen. Schließlich bedeutet das Wort Analyse Zerlegung. Deshalb lehne ich sie vollständig ab. Ich werde nicht analysieren, denn ich sehe die Dummheit, den lähmenden Prozess darin.
Was soll ich also tun? Denn das ist die Tradition: Selbstbetrachtung oder Analyse durch mich selbst oder einen Fachmann, was jetzt in Mode ist. Wenn der Verstand also die Wahrheit darin erkennt, und darum die Analyse wegfällt, was soll der Verstand dann mit dem Inhalt tun? Wir kennen den Inhalt. Wir müssen das nicht ausführlich beschreiben. Was muss man also tun? Er muss ausgeräumt werden, sonst ist es nur ein Weitermachen. Analyse umfasst den Analysierenden und das Analysierte. Ich analysiere meinen Ärger.
Wer ist der Analysierende? Er ist ein Teil des Fragments, das Ärger ist. Der Analysierende behauptet also, vom Analysierten getrennt zu sein. Wenn ich aber die Wahrheit erkenne, dass nämlich der Analysierende das Analysierte ist, dann findet eine vollkommen andere Handlung statt. Dann gibt es keinen Konflikt zwischen dem Analysierenden und dem Analysierten. Dann gibt es sofortiges Handeln, eine Wahrnehmung, die das »was ist« beendet und darüber hinausgeht. Schließlich ist der Beobachter das Wissen. Analyse beinhaltet den Analysierenden und das Analysierte. Der Analysierende ist das Analysierte. Und ebenso beinhaltet die Analyse Zeit, Dauer. Ich brauche Zeit, um aufzudecken, auszugraben, und es wird mich für den Rest meines Lebens beschäftigen.
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Der wahrnehmende Verstand legt die Analyse vollkommen ab. Nicht, weil sie sich nicht lohnt, nicht weil sie mich nicht dorthin führt, wohin ich möchte, sondern weil ich sehe, dass das Bewusstsein sich unmöglich seines Inhalts entledigen kann, wenn der Verstand sich ihm auf dieser Schiene nähert. Der Analysierende und die Zeit: Ich sehe die völlige Sinnlosigkeit der Tatsache, dass ich nach vierzig Jahren immer noch analysiere.
Aber der Verstand muss seinen Inhalt erkennen, muss seiner vollkommen gewahr sein, nicht nur einiger Bruchstücke. Wie ist das nun möglich? Denn das ist in Beziehung zum Tod sehr wichtig. Denn der Inhalt meines Bewusstseins ist Bewusstsein. Dieses Bewusstsein bin ich, mein Ego, mein Reden von »ich und du«, »wir und sie« – ganz gleich ob »sie« nun die Kommunisten, die Katholiken, die Protestanten oder die Hindus sind – »wir und sie«.