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Der Tod

A. W. Anderson: Wir begannen, über die Beziehung des Bewusstseins zum Tod zu sprechen, zum Tod, der zusammen mit dem Leben eine einzige totale Bewegung ist. Zum Schluss haben wir sogar das Thema Reinkarnation berührt …

Krishnamurti: Ein Punkt bei der Frage des Todes ist, dass wir schon vor dem Wort selbst soviel Angst haben. Niemand spricht darüber. Es gehört nicht zur alltäglichen Unterhaltung. Es ist etwas, das vermieden werden muss, etwas das unausweichlich ist. Also weisen wir es um Gottes willen so weit wie möglich von uns fort. Das ist das Allerabsurdeste. Was wir jetzt besprechen, ist das Verstehen des Todes, seine Beziehung zum Leben und zu dem, was wir Liebe nennen. Man kann unmöglich die Unermesslichkeit – und es ist Unermesslichkeit – dessen, was man Tod nennt, verstehen, wenn es nicht wirkliche Freiheit von Angst gibt. Darum haben wir kürzlich über das Problem Angst gesprochen. Ohne dass sich der Geist nicht selbst wirklich von Angst befreit, gibt es keine Möglichkeit, die außerordentliche Schönheit, Kraft und Vitalität des Todes zu verstehen.

A. W. Anderson: Das ist eine sehr bemerkenswerte Art, es auszudrücken – die Vitalität des Todes. Normalerweise betrachten wir ihn als die totale Negation des Lebens.

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Krishnamurti: Als Negation des Lebens, das ist richtig. Wenn wir nun also die Frage des Todes untersuchen, dann darf keinerlei Angst in uns existieren. Dann kann ich weiterforschen. Dann kann ich herausfinden, was Tod bedeutet. Wir haben die Reinkarnation ganz kurz angesprochen, den Glauben, an dem der Osten festhält, und der keine Realität im täglichen Leben hat. Es ist, als ginge man jeden Sonntag zur Kirche und wäre die restlichen sechs Tage der Woche boshaft. Wenn jemand, der wirklich ernsthaft und wirklich aufmerksam ist, diese Frage des Todes erforscht, muss er seine Bedeutung, seine Qualität und nicht das Enden verstehen. Und das werden wir jetzt ein wenig untersuchen.

Die alten Ägypter, die Pharaonen verschiedener Dynastien, haben sich auf den Tod vorbereitet. Sie sagten, wir werden den Fluss mit all unseren Gütern, all unseren Triumphwagen, all unserem Besitz und unserem Eigentum überqueren. Und darum waren ihre Höhlen und ihre Gräber mit allen notwendigen Dingen des täglichen Lebens, Getreide usw. gefüllt. Das Leben war also nur der Weg zum Sterben. Das ist die eine Art, es zu sehen. Die andere ist die Reinkarnation, die Anschauungsweise der Inder, der Asiaten. Und es gibt die christliche Idee der Wiedererweckung. Man wird wieder geboren und vom Erzengel Gabriel zur Belohnung in den Himmel getragen.

Was aber ist Tatsache? Dieses sind alles Theorien, Vermutungen, Glaube und Nicht-Tatsachen. Ich meine, jemand – angenommen als Jesus geboren – entsteigt körperlich wiedererstanden seinem Grab. Es ist einfach ein Glaube. Es gab keine Kameras. Zehn Leute behaupteten, es gesehen zu haben. Es ist etwas, das sich einige einbildeten. Da ist also dieses Leben und die Vorbereitung auf den Tod, wie bei den alten Ägyptern. Dann ist da die Reinkarnation. Und dann gibt es die Wiederauferstehung.

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Wenn man aber keine Angst hat, was ist dann der Tod? Was ist es, das stirbt, abgesehen vom Organismus? Wenn Sie sehr sorgsam damit umgehen, mag der Organismus für 80, 90 oder 100 Jahre Bestand haben. Wenn Sie keine Krankheit, keine Unfälle haben, wenn sie vernünftig, gesund leben, werden Sie vielleicht 100 oder 110 Jahre überdauern. Und was dann? Sie leben 100 Jahre – wofür? Für diese Art von Leben – Kampf, Hader, Zank, Verbitterung, Ärger, Eifersucht, Oberflächlichkeit, ein bedeutungsloses Dasein. So wie wir jetzt leben, ist es ein bedeutungsloses Dasein.

Was stirbt also? Und wovor habe ich Angst? Was ist es, das uns vor dem Tod Angst macht? Das Verlieren von dem, was wir kennen? Meine Frau verlieren? Mein Haus verlieren? Die Dinge verlieren, die ich erworben und angeschafft habe? Den Inhalt meines Bewusstseins verlieren?

Meine Frage lautet also: Kann der Inhalt des Bewusstseins vollkommen ausgeräumt werden? Verstehen Sie, was Leben bedeutet? Wenn der Inhalt vollkommen ausgeräumt ist, bedeutet das Sterben Leben, das heißt, keinerlei Bindung. Es ist kein brutales Abschneiden, sondern das Verstehen von Bindung, von Abhängigkeit, von Besitz, von Macht, von Stellung, von Angst. Das Leerwerden von all diesem ist der wirkliche Tod. Und darum bedeutet das Leeren des Bewusstseins, dass das Bewusstsein, welches seine eigene Begrenzung durch seinen Inhalt geschaffen hat, zu einem Ende kommt. Ich frage mich, ob Ihnen das klar ist?

A. W. Anderson: Ja, ich habe Ihnen sehr aufmerksam zugehört, und es scheint mir eine grundlegende Beziehung zwischen Geburt und Tod zu geben. Aber die beiden werden nicht auf der tiefen Ebene begriffen, über die Sie gerade zu sprechen beginnen, wenn sie als zwei Momente in einem Kreislauf betrachtet werden.

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Krishnamurti: So ist es. Der Tod wird also zu etwas Lebendigem, wenn der Inhalt des Bewusstseins, das seine eigene Grenze, seine eigene Begrenzung schafft, zu einem Ende kommt. Das ist keine Theorie, keine Spekulation, kein intellektuelles Begreifen, sondern das wirkliche Wahrnehmen von Bindung – lassen Sie uns das als ein Beispiel benutzen: An irgend etwas gebunden sein, an Besitz, Mann, Frau, das Buch, das ich geschrieben habe, oder das Wissen, das ich erworben habe. Bindung und der Kampf darum, ungebunden zu sein, denn Bindung bringt Schmerz. Darum sage ich mir, ich muss ungebunden sein, und der Kampf beginnt. Und das ist der ganze Inhalt meines Bewusstseins, dieser Kampf, den wir eben beschrieben haben.

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