Grundlegende Fragen

Grundlegende Fragen

Grundlegende Fragen: Eine unserer großen Schwierigkeiten liegt darin, dass wir nie grundlegende Fragen stellen. Und wenn wir sie stellen, dann erwarten wir, dass ein anderer uns die Antwort gibt. Wir gelangen nie selbst zum vollkommenen Verständnis eines Problems. Aber vielleicht können wir uns heute Abend drei oder vier Grundprobleme vornehmen und sehen, ob wir sie nicht selbst lösen können, ohne uns auf den Redner oder sonst jemanden zu verlassen. Die meisten von uns akzeptieren zu schnell eine Autorität, denn das scheint am einfachsten. Die Beobachtung zeigt jedoch, dass Autorität in solchen Dingen unweigerlich viel Widerspruch und Verwirrung stiftet.

Es gibt keine Autorität, die uns sagen könnte, was wir tun oder wie wir über Grundprobleme denken sollen. Wir neigen dazu, sie zu übergehen, uns über sie hinwegzusetzen, sie sind uns kein Anliegen. Ich möchte versuchen, diese grundlegenden Fragen zu formulieren und ihnen nachzugehen. Es liegt an Ihnen, sich ebenso zu bemühen wie der Redner und selbst in diese Fragen einzudringen und dabei die Autorität des Redners nicht einen Augenblick zu achten.

In meinen Augen gibt es drei Grundprobleme, und wenn wir sie in unserem eigenen Leben lösen und erforschen könnten, dann wäre das vielleicht eine Antwort auf die Verwirrung und das Leid der Welt. Dann würden diese Fragen nicht mehr die eminente Bedeutung haben, die man ihnen zuschreibt. Sie lauten: Was heißt es, lebendig zu sein; was heißt Tod; und was heißt Leben? Wir wollen tief in diese Fragen eindringen und sie für uns selbst beantworten, denn sie sind eine große Herausforderung, und wir können ihnen unmöglich ausweichen. Wir müssen sie mit großem Ernst untersuchen und mit der Freiheit des Forschens, ohne die man die Wahrheit nicht finden kann.

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Theorien und Ideologien können wir nicht brauchen. Um die Wahrheit aufzuspüren, müssen wir die Freiheit haben zu schauen, zu beobachten und zu untersuchen. Sonst bewegen wir uns lediglich in den Bahnen der Tradition, der Autorität und des Gehorsams, und diese haben die Probleme unseres Lebens in keiner Weise gelöst.

Was also ist Leben? Was heißt es zu leben? Wenn wir sagen, dass Leben dies oder jenes sein sollte, dann ist das nichts als eine Annahme, eine Theorie. Wenn wir dagegen sehen könnten, was unser Leben wirklich ist, tagtäglich und jahraus, jahrein, so wie es tatsächlich beschaffen ist, dann könnten wir es in den Griff bekommen. Wenn wir aber sagen, es sollte so oder so sein, und wenn wir aufgrund bestimmter Voraussetzungen, Prinzipien oder Ideologien denken, dann vergeuden wir unsere Zeit. Wenn wir das Leben sehen, wie es ist, und nicht, wie wir es gerne hätten, dann kann sich unser Leben vielleicht von Grund auf ändern.

Wenn wir beobachten, was es ist, dann sehen wir, dass wir Vergnügen suchen. Vergnügen ist für uns eines der wichtigsten Dinge. Unsere Werte, Moral, Ethik unsere inneren Gesetze beruhen auf diesem Lustprinzip. Wenn wir denn Lust als die höchste Existenzform suchen, dann stellt sich nicht nur Angst, sondern auch Kummer ein. Unser ganzes Leben konzentriert sich auf die Jagd nach dem Vergnügen (wie jetzt). Wir verurteilen dies nicht, wir betrachten es nur und untersuchen, warum der Mensch immerfort die Lust sucht.

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Was ist Lust? Jeder einzelne von uns muss das beantworten, und wir müssen außerdem herausfinden, warum wir sie suchen, und wir dürfen nicht sagen, dass wir sie nicht suchen oder unterdrücken sollen, Warum suchen die meisten von uns die Lust, und was ist sie? Warum sollen oder sollen wir sie nicht suchen? Was ist denn Lust? Es gibt körperliche Lust, der guten Gesundheit, des Geschlechtsverkehrs, die Lust an der Leistung, am Erfolg, am Ruhm. Beobachten Sie, wie Ihr Denken unweigerlich um Lust kreist. Wir haben sie als einen Teil unseres Lebens akzeptiert. Warum ist sie so unerhört wichtig geworden?

Sehen Sie, das Leben ist eine Folge von Erfahrungen. Wir machen Erfahrungen am laufenden Band, und wir vermeiden die schmerzlichen, oder wir wehren uns gegen sie. Und jede Erfahrung, die uns Lust bringt, verfolgen wir mit Ernst und Hartnäckigkeit. Wie entsteht Lust? Sie sehen einen Sonnenuntergang, und der Anblick entzückt Sie. Sie machen also diese Erfahrung, und sie hinterlässt eine Erinnerung. Es war ein wunderbares, lustvolles Erlebnis, dieser herrliche Sonnenuntergang über den Bergen mit den leuchtenden Wolken.

Es lässt eine glückliche Erinnerung zurück, und am nächsten Tag möchte man es noch einmal haben. Genauso geht es mit der Lust einer Geschlechtsbeziehung. Man sehnt sich nach Wiederholung. Diese Wiederholung findet, wie sich beobachten lässt, allein dadurch statt, dass man wieder daran denkt. Sie haben den Sonnenuntergang gesehen und sich darüber gefreut. Man kehrt in Gedanken zurück, und die Lust bleibt lebendig und erhält Dauer. Dasselbe geschieht mit Sex oder jeder anderen Form von physischer oder psychischer Lust.

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Das Denken schafft ein Bild dieser Lust und kehrt immer wieder zu ihm zurück. Das Denken schafft aber auch, wie wir beobachten, die Angst. Ich fürchte mich davor, was morgen sein wird. Ich fürchte mich, dass das, was ich vor einigen Tagen getan habe, ans Licht kommt. Ich denke daran, was die Zukunft bringen wird und was in der Vergangenheit geschehen ist, die ich nicht mag, für die ich mich schäme – und das erzeugt Angst.

So schafft das Denken Lust und gibt ihr Kontinuität genau wie der Angst. Also erzeugt das Denken Leid und sucht auch die Lust. Unser tägliches Leben ist ein dauernder Kampf zwischen diesen beiden, Lust und Angst. Unser Leben ist voller Leiden, nicht nur aus physischem Schmerz sondern auch psychisch, innerlich. Unser Leben ist ein Konflikt, ein innerer Kampf, der sich nach außen als Gesellschaft auswirkt. In der Tat ist unser Leben, »so wie es ist«, ein dauernder Widerspruch, Schmerz und Leid, mit gelegentlichen Funken von Freude.

Man fragt sich – und ich hoffe, dass auch Sie sich das fragen -, ob ein solches Leben mit seinem Hass, seiner Eifersucht, mit Neid, Ehrgeiz, Gier nicht ein Ende nehmen und ob es in ein anderes Leben mit einer anderen Dimension verwandelt werden kann. Kann man der ganzen Vergangenheit sterben? Wenn Sie nämlich beobachten, ist die Lust in der Vergangenheit oder in der Zukunft. Der aktuelle Moment der Lust ist in die Vergangenheit oder in das Morgen übersetzt.

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Und man fragt sich allen Ernstes, ob es nicht ein Leben ohne jeden Konflikt geben kann, ohne Konflikt zwischen Lust und Angst. Natürlich werden Sie Freude empfinden, wenn Sie etwas Schönes sehen – einen Sonnenuntergang, eine Wolke, ein hübsches Gesicht, einen Baum im Mondschein – es ist eine Wonne, solche Dinge zu sehen, solche Erfahrungen lassen sich nicht verleugnen. Aber dann kommt das Denken und sagt: Wie schön das war, ich muss es wieder haben. So kommt wieder das Denken herein wie bei Schmerz und Leid.

Die Frage lautet also, ob das Denken, das dem Schmerz und der Lust Kontinuität verleiht, damit aufhören kann, der Vergangenheit und Zukunft Nahrung zu geben als Lust, Schmerz oder Angst.

Wir fragten vorhin nach der Funktion des Denkens. Das Denken hat Wirklichkeit, es muss funktionieren. Auf dem ganzen Gebiet der Technik, bei allen Erfindungen ist das Denken außerordentlich wichtig. Je klarer, logischer, vernünftiger man denkt, ohne Vorurteil oder Sentimentalität, desto mehr Bedeutung hat das Denken. Man könnte nicht nach Hause oder ins Büro gehen, ohne zu denken, das angesammelte Wissen gäbe es nicht mehr, wenn wir unser Denken nicht einsetzen würden. Hat es jedoch noch eine andere Existenz? Ich weiß, dass ich denken muss, um Ihnen etwas zu sagen, um eine neue Sprache zu erlernen, ich muss denken, Worte sammeln, Grammatik usw., damit ich das Denken als Ausdrucksmittel gebrauchen kann.

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Denken ist nötig. Doch hat es psychisch, innerlich überhaupt einen Platz? Warum soll das Denken sich einmischen oder eine Erfahrung fortsetzen, die mich einmal entzückt hat? Sie haben den Sonnenuntergang gestern gesehen, etwas Wunderbares, mit außerordentlichen Farben, voll Vitalität und Schönheit. Sie sahen ihn, und dann war er vorbei. Warum soll das Denken sich jetzt einschalten und daraus eine Freude machen, die ich morgen wieder haben will? Während Sie ihn sehen, wollen Sie dies schon, und daher sehen Sie den Sonnenuntergang nicht wirklich. Sie sehen Ihre Erinnerung an den Sonnenuntergang, den Sie gestern genossen haben. Haargenau so ist es auch mit Sex und jeder anderen Form von Lust.

Das Denken muss es geben, damit unser Leben funktioniert. Aber da es Schmerz, Leid und diese dauernde Jagd nach Lust erzeugt und seine eigenen Frustrationen, Enttäuschungen, Zorn, Eifersucht und Neid mit sich bringt, auf dieser inneren, psychischen Ebene hat das Denken keinen Platz. Wenn man das wirklich vermöchte: nur dann zu denken, wenn es unbedingt nötig ist, und die übrige Zeit zu beobachten, zu schauen, damit das Denken, das immer alt ist und dich jetzt an der wirklichen Erfahrung des Schauens hindert, wegfallen könnte. Dann wäre es möglich, ganz im Augenblick zu leben, der immer das »Jetzt« ist.

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Als nächstes wollen wir darüber sprechen, was der Tod ist. Warum hat man im Geist solche Angst davor zu sterben? Wir alle müssen sterben. Die Wissenschaft erfindet vielleicht ein Medikament oder eine andere medizinische Hilfe, um dem Menschen sein elendes, kümmerliches Leben zu verlängern. Doch danach kommt immer der Tod. Heute spricht niemand davon, weil jeder zu große Angst hat. Und wir wollen wissen, was der Tod in Wahrheit ist und warum das Denken dieses Bild der Angst geschaffen hat. Hier ist unser Leben; es ist so hässlich, unordentlich und widersprüchlich mit seinen Kriegen, seiner Zerstörung und seinem Hass. Und wenn Sie ein Talent oder irgendeine Fähigkeit besitzen, die ihnen große Freude macht, so liegt darin auch großer Schmerz.

Das ist unser Leben, und wir haben uns darauf eingestellt. Mit dem Denken sagen wir uns: »Ich weiß nicht, was der Tod ist. Ich werde ihn so weit wie möglich von mir wegschieben.« Weil wir Angst vor dem Unbekannten haben, erfinden wir viele Theorien. Die ganze asiatische Welt glaubt an die Wiedergeburt mit ihrem komplizierten theoretischen Drum und Dran.

Auch die christliche Welt weicht der Tatsache des Todes aus. Die Angst davor wird vom Denken geschaffen, denn dieses sagt: »Ich kenne nur die Vergangenheit, das Bekannte, das tägliche Leben, die Erinnerungen an Freude und Schmerz. Ich kenne nur das Vergangene, das Alte. Ich weiß nicht, was morgen oder in dreißig Jahren geschehen wird. Deshalb halte ich mir den Gedanken an den Tod so fern wie möglich.« Daher ist das Denken splitter-haft.

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Können wir also erkennen, was es psychisch gesehen heißt zu sterben? Der physische Organismus verfällt notgedrungen durch ständige Abnützung, Krankheit, Unfälle oder Alter. Wie seltsam, dass wir vor dem Alter eine solche Angst haben. Wie hässlich wir werden, wenn wir altern, wie wir uns mit Schmuck Behängen, extravagante Frisuren aufsetzen und so tun, als seien wir wieder jung. Darin liegt etwas sehr Trauriges, denn es bedeutet, dass wir nie gelebt haben. Wir wissen nicht einmal, was es heißt zu leben, und deshalb fürchten wir uns vor dem Alter. Ist es also möglich, psychisch allen Dingen, die wir kennen, zu sterben?

Das geschieht nämlich, wenn wir sterben: Wir müssen unsere Familien verlassen, unsere Erfahrungen, unsere Errungenschaften, und wer weiß was sonst noch alles. Mit dem Tod können wir nicht verhandeln, wir können ihn nicht bitten, die unausweichliche Stunde aufzuschieben. Wir flüchten uns, wenn wir sagen: »Ich werde weiterleben oder auferstehen oder dies oder jenes sein.« Das sind nur Theorien, Phantasie-vorstellungen ohne Realität.

Haben Sie je versucht, einem Vergnügen zu sterben, einer besonderen Erfahrung, die Sie sehr schätzen, sie leicht, heiter und ohne Widerstand fallenzulassen? Das wäre morbide und masochistic, wenn man es nicht gänzlich ohne Anstrengung täte. Wenn Sie es aber nicht tun, wissen Sie nicht, was es heißt zu leben. Wenn wir allen Familienbanden, unserer Stellung und Leistung innerlich sterben könnten, dann wären wir frei von dem, was wir kennen und was immer Vergangenheit ist, die sich in die Zukunft projiziert und dennoch Vergangenheit bleibt.

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Dann wird das Leben etwas ganz Neues. Dann ist es möglich, eine neue Gesellschaft zu errichten, die sich von unserer mörderischen Gesellschaft der Ungerechtigkeit, der Kriege und Unmoral unterscheidet. Denn wenn man den bekannten Dingen stirbt, erfährt man vielleicht, was Liebe ist. Liebe ist nicht so, wie wir sie jetzt haben: eifersüchtig, neidisch, argwöhnisch, intrigant, ängstlich und vergnügungssüchtig.

Wenn wirkliche Liebe da ist, wird Lust etwas ganz anderes. Wenn du jedoch die Lust obenan setzt, dann fliegt die Liebe zum Fenster hinaus. Und ohne diese Gründung in der Liebe, ohne dass du jede Minute den Dingen stirbst, die du angesammelt hast, kannst du nicht ein Leben in Rechtschaffenheit führen. Das ist das Fundament, und von dort kommen wir in eine ganz andere Dimension.

Dann gewinnt die Meditation eine ganz andere Bedeutung, denn sie hat nichts mit den kuriosen Dingen zu tun, über die man redet. Meditation heißt den Geist von allem Bekannten leer machen, und dann wird der Geist jung, frisch, unschuldig und lebendig. Er ist nicht mehr im Bekannten verfangen, sondern er gebraucht es lediglich als ein Werkzeug.

In dieser Leere gewinnt Wahrheit eine ganz andere Bedeutung. Sie hat nichts mit Verstand oder Intellekt zu tun.

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FRAGE: Ich habe Angst vor dem Tod, weil ich das Leben liebe.

KRISHNAMURTI: Lieben Sie das Leben wirklich? Der Mann auf dem Schlachtfeld muss jeden Augenblick den Tod gewärtigen, und Sie gehen Ihrerseits jeden Tag Ihres Lebens, dreißig, vierzig Jahre lang, ins Büro – wie langweilig! Ist es das, was sie lieben, dieses Leben voll Konflikt und Elend? Ist das liebe, diese grauenhafte Unordnung, die wir schaffen?

Sagen Sie nicht, dass es keine Unordnung ist – Sie haben vielleicht ein komfortables Haus und einen Haufen Geld, oder Sie kämpfen um eine Stellung, im Wettbewerb, in Neid – ist es das, was Sie lieben? Und ist Liebe Leben? Würden Sie einen anderen hassen, könnten Sie ein anderes Leben zerstören? Wenn wir sagen, dass wir »das Leben lieben«, dann sind wir, die wir das behaupten, doch selbst dieses ganze Durcheinander des Lebens, das wir als Freude, Schmerz und Leid geschaffen haben. So ist es doch.

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Könnte der Geist nur frei davon sein und sich aller bekannten Dinge entleeren! Die meisten von uns haben Angst davor, allein zu sein. Wir wollen uns mit Menschen umgeben, wir haben Angst davor, alleine fortzugehen und wir selbst zu sein, denn dann könnten wir uns sehen, wie wir sind, und davor fürchten wir uns. So umgeben wir uns mit Fernsehen, Telefon und allen möglichen Dingen, mit Göttern, heiligen Schriften, Zitaten und mit unendlichen Kenntnissen, die keinen wirklichen Nutzen haben. Das ist es, was wir Leben nennen, und daran klammern wir uns.

Natürlich haben wir Angst vor dem Tod, aber nicht weil wir lieben, sondern weil unser kleinlicher Ehrgeiz, unsere Arbeit und unsere Genüsse ein Ende finden. Das ist das Traurige an unserem Leben, dass wir solche Angst haben. Aus unserer Angst heraus erfinden wir hübsche Theorien, weil wir uns nie gesagt haben, dass leben sterben heißt. Ganzheitlich und voll zu leben heißt, all diesen absurden Dingen zu sterben.

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FRAGE: Ist Angst je gerechtfertigt?

KRISHNAMURTI: Ich weiß nicht recht, was das bedeutet, wissen Sie es? Wollen Sie damit sagen, dass die physische Selbsterhaltung nötig ist? Man wirft sich zum Beispiel nicht vor einen Autobus, wenn man nicht etwas sonderbar ist. Ist Angst je gerechtfertigt? Ich sehe nicht ein, warum man sie rechtfertigen soll! Wenn ich mich vor etwas fürchte, was ich getan habe und vor Ihnen verheimlichen möchte, dann geht es um Angst.

Ich will nicht, dass Sie erfahren, dass ich ein Dummkopf war oder in der Vergangenheit etwas angestellt habe, wofür ich mich schäme. – Na, und wenn Sie es wissen, was macht das schon? Warum soll ich mich davor fürchten, was Sie von mir halten? Sehen Sie, ich habe nämlich ein Bild von mir ein rechtschaffenes, edles, wunderbares Bild. Und ich will nicht, dass Sie dahinter kommen, wie es sich mit diesem »Image« wirklich verhält.

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Es ist ziemlich leicht, irgendeine Frage zu stellen, aber das richtige Fragen ist eines der schwierigsten Dinge. Das heißt nicht, dass Sie keine Fragen stellen sollen. Die richtige Frage kann man nur dann stellen, wenn man sich mit all dem sehr genau beschäftigt hat. Wenn Sie dann die richtige Frage stellen, ist die richtige Antwort da, Sie brauchen sie nicht einmal zu stellen.

Aber man muss Fragen haben, nicht wahr, nicht nur über die Regierung oder Ihre Beziehung zu Ihrer Frau, Ihrem Mann usw., sondern Fragen über lebenswichtige Dinge, z. B.: »Was ist eine Beziehung?« Ich weiß nicht, ob Sie sich diese Frage je gestellt haben. Ich stelle sie jetzt. Was ist Beziehung, nicht nur zu Ihrer Frau oder Ihrem Mann sondern auch zu Ihrem Nachbarn, zur Gesellschaft? Was ist Beziehung? Wollen wir uns damit beschäftigen? Ich fürchte allerdings, dass es Sie beunruhigen wird, wie ich Ihnen gleich zeigen werde.

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Welche Beziehung besteht zwischen den Sternen und Ihnen selbst – ich meine nichts Astrological, nur die Sterne. Welche Beziehung ist zwischen Ihnen und der Wolke, die Sie am Abend leuchten sehen? Was ist die Beziehung zwischen Ihnen und Ihrer Frau oder Ihrem Nachbarn? Haben Sie eine Beziehung zu Ihrer Frau oder Ihrem Mann? Sie haben eine Beziehung zu dieser Wolke, weil Sie schon früher Wolken gesehen haben, Sie haben die Erinnerung und das Wort. Und wenn Sie sagen, das ist meine Frau oder mein Mann, was ist das für eine Beziehung? Sie haben ein Bild von Ihrer Frau, und sie hat ein Bild von ihnen.

Der Mann hat während vieler Jahre ein Bild von ihr hergestellt, mit seinem Vergnügen, Sex, Bequemlichkeit, Ärger, Gier, Nörgeln usw., und sie hat ein Bild von Ihnen. Die Beziehung herrscht also zwischen zwei Bildern, und das nennen Sie eine Beziehung. Aus einer solchen Beziehung erwächst Angst und Eifersucht, die Furcht vor Einsamkeit, die Furcht davor, keinen Gefährten zu haben. So errichten wir eine legale, höchst achtbare Beziehung, aber sie besteht nur zwischen zwei Bildern. Und wenn Sie eine Wolke, einen Baum, eine schöne Blume betrachten, dann sehen Sie sie mit dem Bild, das Sie von einer Blume, einer Wolke oder einem Baum haben.

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Haben wir denn wirklich eine Beziehung zu einem anderen? In Beziehung sein heißt, wirklichen Kontakt haben. Man kann physisch, sexuell mit einem anderen in Kontakt sein, aber das macht noch keine Beziehung aus. In der Beziehung, von der wir reden, gibt es kein Bild zwischen Ihnen und dem anderen. Versuchen Sie es einmal. Haben Sie kein Bild von Ihrer Frau, Ihrem Mann, Ihrem Nachbarn oder jemand anderem.

Schauen Sie einfach, sehen Sie direkt hin ohne das Bild, das Symbol, die Erinnerung von gestern, was sie zu Ihnen sagte und was Sie zu ihr sagten, wie sie Sie geärgert hat usw. Wenn diese Dinge wegfallen, ist eine rechte Beziehung möglich, denn dann ist alles neu, und die Beziehung ist nicht mehr tote Vergangenheit.

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FRAGE: Was empfindet man nach dem Tod?

KRISHNAMURTI: Ich fürchte, Sie sind dem nicht gefolgt, was ich eben sagte. Wenn wir nicht wissen, was Leben ist, wollen wir wissen, was Sterben ist und was nach dem Tod geschieht. Wir verstehen nicht zu leben. Wenn wir das verstehen, dann verstehen wir auch zu sterben. Dann ist Leben gleich Sterben, sonst gibt es kein Leben. Empfinden ist etwas Wirkliches, Unmittelbares. Sich zu ärgern, intensiv zu empfinden ist wirklich, gegenwärtig. Aber was geschieht? Ich ärgere mich, ich befinde mich im Zustand des Ärgers, und schon das Wort »Ärger« bezieht sich auf die Vergangenheit.

Man erkennt den Zustand als Ärger und nennt ihn so, weil man ihn schon als Ärger erfahren hat. Wenn Sie ihn also Ärger nennen, dann betrachten Sie ihn mit der Erinnerung an andere Zustände des Ärgers. Können Sie das, was Sie gegenwärtig empfinden, ansehen, ohne ihm einen Namen zu geben? Was geschieht nach dem Tod? Das ist die Frage. Wir können Meinungen zum besten geben und sagen: »Ich denke dies, und du denkst das.« Andererseits gibt es die intellektuelle, rationale, materialistische Ansicht: »Das ist das Ende. Wenn du stirbst, dann stirbst du eben.« Dann gibt es die sogenannten spirituellen Leute, die Ihre Ideen, Meinungen und Glaubenssätze haben.

Aber keiner, weder der Materialist mit seinen Worten: »Das Leben ist gelebt, und wenn du stirbst, dann stirbst du eben, und damit Schluss«, noch der Mann, der sagt: »Nach dem Tod kommt etwas Außerordentliches, du wirst auf einer Wolke sitzen oder wieder geboren werden«, sagen Ihnen die Wahrheit. Das sind nur Meinungen. Um die Wahrheit herauszufinden, dürfen Sie weder zu den Gläubigen noch zu den rein intellektuellen, rationalistic Aufklärern gehören. Dazu muss der Geist viel subtiler, viel sensibler sein. Er weiß, was es heißt zu leben, indem man jeden Tag stirbt.

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FRAGE: Welchen Wert legen Sie auf die Sozialwissenschaften und die Lehre vom Menschen?

KRISHNAMURTI: Wenn Sie das ganze Labor in sich haben, warum wollen Sie »den Menschen studieren?« Studieren Sie sich selbst, das ganze menschliche Wesen, den ganzen Komplex, die Schönheit und außergewöhnliche Sensibilität, die Sie sind. Warum wollen Sie studieren, was ein anderer über den Menschen gesagt hat? Die ganze Menschheit sind Sie. Sie in Beziehung zu einem anderen sind die Gesellschaft. Sie haben diese schreckliche, hässliche Welt geschaffen, die so sinnlos geworden ist, und deshalb revoltiert die Jugend auf der ganzen Welt. In meinen Augen ist das ein so sinnloses Leben. Die vom Menschen erschaffene Gesellschaft ist das Resultat seiner eigenen Ansprüche, seiner Bedürfnisse, Instinkte, Ambitionen, seiner Gier und seines Neides.

Sie meinen, wenn Sie alle Bücher über den Menschen lesen und sich mit Sozialwissenschaft beschäftigen, dass Sie dann sich selbst verstehen. Wäre es nicht viel einfacher, bei sich selbst zu beginnen? Betrachten Sie sich selbst, ohne Urteil und Rechtfertigung, schauen Sie nur, beobachten Sie, wie Sie sprechen, wie Sie argumentieren, diskutieren, sehen Sie Ihre Vorurteile, Ihre Ambitionen – sehen Sie einfach hin.

Sie haben die ganze Geschichte des Menschen in Ihrem Innern, und wenn Sie sich selbst nicht aus erster Hand kennen, werden Sie nie eine neue Gesellschaftsordnung schaffen können. Das heißt nicht, dass Sie die Gesellschaft und was andere über den Menschen geschrieben haben, nicht studieren sollen. Ich persönlich habe es nicht getan – Sie haben alles in Ihrem Inneren. Sehen Sie hin, und Sie werden viel erfahren.

FRAGE: Sind die Menschen gleich?

KRISHNAMURTI: Sind wir es? Sie sind sehr gescheit, ich nicht. Sie sind hoch-sensibel und etwas Besonderes. Sie können klar, rational, wundervoll denken, und ich bin voller Vorurteile, Eigentümlichkeiten, voll Temperament, und diese Dinge behindern mich – Sie haben einen viel besseren Job, ein größeres Haus. Ihr Hirn ist größer als meines. Gibt es da Gleichheit? Vielleicht gibt es so etwas wie Chancengleichheit.

Aber warum vergleichen wir, warum sage ich mir, dass Sie einen viel besseren Kopf haben als ich, warum? Warum bin ich eifersüchtig auf Sie? Durch den Vergleich? Wir sind freilich von Kindheit an zum Vergleichen erzogen worden, in der Schule, im Geschäftsleben, in der Kirche, wo das hierarchische System herrscht vom niederen Priester bis zum Papst und so fort, aber warum müssen wir in unserem Leben immer vergleichen? Kann der Geist aufhören zu vergleichen? Dann wäre Gleichheit möglich, aber nicht so, wie wir sind.

FRAGE: Wir sagten, dass leben sterben heißt, aber was geschieht mit der Seele, wenn man stirbt?

KRISHNAMURTI: Erstens, leben heißt sterben. Lebe ich denn, wenn ich immer in der Vergangenheit lebe, wenn die Vergangenheit immerfort da ist mit ihren Erinnerungen? Oder wenn ich in der Zukunft lebe und daran denke, was ich sein und werden sollte, wie meine Stellung sein wird oder ob ich in der Vergangenheit mächtiger war oder es in Zukunft sein werde, lebe ich dann?

Ich lebe nur, wenn ich der Vergangenheit und der Zukunft sterbe. Dann gibt es die Möglichkeit, vollkommen in der Gegenwart zu leben, und das heißt, zeitlos zu leben. Wenn ich zeitlos lebe, gibt es dann den Tod? Wir haben diese Trennung von Seele und Geist, und die ganze kommunistische Welt wächst mit anderen Ideologien und anderen Konditionierungen auf – dort glaubt man nicht an Geist und Körper oder Geist und Seele.

Sie glauben daran, weil Sie so konditioniert sind. Gibt es eine Seele? Bitte, folgen Sie, sagen Sie nicht, das sei alles Unsinn, sondern sehen Sie es an, untersuchen Sie es. Was bedeutet Seele? Ist es etwas Dauerhaftes, dem man etwas hinzufügen oder dem man etwas wegnehmen kann, das aber diese Eigenschaft der Dauer hat, so wie die Hindus sagen, dass es »Atman« gibt? Die Menschen im Osten sind durch dieses Wort konditioniert, und Sie sind durch das Wort »Seele« hier konditioniert.

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Wir müssen das sehr genau untersuchen, ohne Angst, und der Wahrheit auf die Spur kommen. Das heißt, wir müssen unkonditioniert und frei sein, damit wir sehen können. Gibt es in Ihnen einen dauerhaften Zustand, eine dauerhafte Qualität, die Sie »Seele« nennen? Gibt es etwas von Dauer? Oder macht der Gedanke etwas dauerhaft? Sie verleihen der Vergangenheit Dauer, indem Sie an sie denken, an Ihre Frau, Ihren Mann, Ihr Haus oder was auch immer. Und das wird dauerhaft. Das Denken kann allem Dauer verleihen. Ich weiß nicht, ob Sie je versucht haben, jeden Tag einen Stock auf das Kaminsims zu legen mit einer Blume davor.

Tun sie das eine Weile, tun Sie es mit großer Hingabe, mit großer Achtung für diesen Stock und beobachten Sie, wie außerordentlich wichtig dieser Stock wird. So ist es auch mit unseren Göttern und unseren Seelen, wenn wir an sie denken. Wir sind unter Menschen, die erfüllt sind von Seele und Geist. Die Hindus mit ihrem »Atman« sind die größten Materialisten, weil sie das Denken anbeten, und das Denken ist immer alt. Es ist niemals neu, denn es ist die Reaktion auf das Gedächtnis, die verglühte Asche von gestern.

Wenn wir ohne Trennung die Seele, den Geist, den »Atman« betrachten können, dann können wir das ganze Leben ansehen, ohne es zu zersplittern und in Stücke zu reißen. Dann werden Sie sehen, dass es eine Schönheit jenseits der Zeit und jenseits des Denkens gibt.

FRAGE: Stimmt es, dass das Leben ewig ist und der Tod nicht existiert?

KRISHNAMURTI: Existiert der Tod nicht? Eines Tages werden Sie sterben wie wir alle, und sie sagen, dass der Tod nicht existiert. Wenn mein Sohn, mein Bruder, meine Schwester oder meine Frau stirbt, sage ich dann, dass es den Tod nicht gibt? Ich weine, ich bin einsam und unglücklich. Sage ich, dass das Leben ewig ist? Dieses Leben hier? Das Leben, in dem ich jeden Tag ins Büro gehe? Kampf, Vorurteil, Hass, Neid, Qual, Leid – wollen Sie, dass das ewig sei?

Das ist alles, was wir wissen, wenn wir all diesem nicht absterben, nicht nur theoretisch, sondern faktisch einem bestimmten Ehrgeiz, der Gier, dem Neid, dem Vorurteil oder der Meinung ein Ende setzen. Wenn Sie das tun, können Sie weit kommen, dann kann der Geist endlos weiterreisen. Aber wenn wir das Leben, so wie wir es haben, leben und das ewig nennen, dann führt das nur zu Trennung, Heuchelei und einem unrealistischen Zustand.

FRAGE: Der Mensch weiß, dass er sterben muss. Sollte man da nicht gleich Schluss machen und ganz aus der Gesellschaft austreten?

KRISHNAMURTI: Wollen Sie damit sagen, ich solle lieber gleich Selbstmord begehen, weil ich in zehn oder fünfzehn Jahren sterbe? Und kann ich aus der Gesellschaft austreten? Können Sie es? Wissen Sie, was es heißt, ein Außenseiter der Gesellschaft zu sein? Darunter verstehe ich, dass man kein Teil an ihr, keine Stellung hat, dass man die Moral der Gesellschaft mit ihrem Hass und ihrem Neid ganz und gar verneint und abseits steht. Das würde bedeuten, dass man nicht hasst, keine Vorurteile hat, dann kann man ein Außenseiter sein, dann ist man wirklich aus der Gesellschaft ausgetreten. Können Sie das alles?

Der Vergangenheit sterben heißt nicht, Selbstmord begehen. Wenn Sie allen Dummheiten, der ganzen Brutalität, der Arroganz, dem Stolz, der Gewalt sterben, dann stellen Sie sich sofort außerhalb der Gesellschaft, psychisch, innerlich, auch wenn Sie eine Krawatte und Hosen tragen und jeden Morgen ins Büro gehen zum Geld verdienen. Wenn Sie das tun, gehören Sie diesem System nicht an.

FRAGE: Ich weiß, was es mit der Vergangenheit auf sich hat, aber ich bleibe doch in meinem alten Fahrwasser.

KRISHNAMURTI: Warum? Kennen Sie die Vergangenheit? Wissen Sie, was das bedeutet? Sehen Sie, Sie sind verheiratet und haben einen Mann, sie haben ein Bild von ihm und er von Ihnen. Können Sie dieses Bild zertrümmern und ihm augenblicklich ein Ende setzen? Sie können es nicht, weil Sie sich an dieses Bild klammern. Es würde Sie sehr aufregen, gar kein bild mehr zu haben. Sie haben eine Erinnerung an ein bestimmtes Glück, und es lebt fort mit Ihnen, Sie sind es, Sie sind ein Teil von ihm.

Und so fragen Sie, wie es kommt, dass Sie zwar wissen, dass die Vergangenheit offensichtlich zu einem Teil dumm ist, und trotzdem mit ihr weiterleben. Das ist so, weil man Angst davor hat, etwas aufzugeben, einsam zu sein, weil man die Erinnerung dessen ist, was man einmal war.

Was Sie jetzt sind, ist die Summe Ihrer Erinnerungen, und ohne diese Erinnerungen gibt es Sie nicht. Was sind Sie? Ich weiß nicht, ob Sie sich je selbst betrachtet haben. Wenn ja, dann werden Sie sehen, dass Sie ein Bündel von Erinnerungen sind, entweder Erinnerungen der Vergangenheit oder was Sie in Zukunft sein können, projiziert aus der Vergangenheit. Das ist alles, was Sie sind, ein Bündel von Worten, von Erinnerungen. Es tut mir leid, das so unverblümt zu sagen.

Und wenn Sie sagen, dass Sie sterben oder nicht, dass Sie die ganze Vergangenheit und Zukunft abschaffen wollen, was sind Sie dann? Das ist die eigentliche Frage: Was sind Sie dann? Um das herauszufinden, müssen Sie der Vergangenheit und der Zukunft sterben. Dann werden Sie selbst dahinter-kommen, was es ist, in dem Bereich, wo das Denken nicht Eingang findet, in dem Zustand des total Neuen, Unmittelbaren.

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