Frage zum thema Handeln ohne Idee: Damit sich Wahrheit zeigen kann, betonen Sie, muss das Handeln ganz ohne Absicht, ohne Idee dahinter sein. Ist es möglich, jederzeit absichtslos zu handeln, d.h. ohne erkennbaren Zweck?
Krishnamurti: Wie ist unser Handeln denn jetzt?
Was verstehen wir unter Handeln?
Unser Handeln – was wir tun oder sein wollen – basiert auf Vorstellungen, nicht wahr?
Wir kennen nichts anderes: Wir haben Ideen, Ideale, Vorsätze und diverse festgelegte Ausdrücke für das, was wir sind und was wir nicht sind.
Die Grundlage unseres Handelns ist die Aussicht auf Belohnung in der Zukunft oder die Angst vor Bestrafung. Das kennen wir, nicht wahr?
Solches Handeln schliesst aus und engt ein. Man hat eine Vorstellung von Tugend und nach dieser Vorstellung lebt und handelt man, in der Meinung, das sei Beziehung. Man versteht Beziehung, ob kollektiv oder individuell, als ein Handeln im Hinblick auf ein Ideal, eine Tugend, eine Leistung usw..
Wenn mein Handeln auf einem Ideal, einer Idee, beruht wie „Ich muss mutig sein“, „Ich muss einem Beispiel folgen“, „Ich muss karitativ tätig sein“, „Ich muss sozial bewusst sein“ und so weiter – dann wird mein Handeln von dieser Idee geleitet und geformt.
Wir sagen: „Es gibt ein Leitbild der Tugend, dem man folgen muss“, was heisst: „Ich muss dementsprechend leben“. Also basiert das Handeln auf dieser Vorstellung
Zwischen Handlung und Idee gibt es eine Lücke, eine Spaltung, einen Zeitraum. Das ist so, nicht wahr?
Mit anderen Worten: Man ist nicht wohltätig, nicht liebevoll, man vergibt nicht im Herzen, aber man denkt, man sollte wohltätig usw. sein. Es gibt also eine Kluft zwischen dem, was man ist, und dem, was man sein sollte, und man versucht die ganze Zeit, diese Kluft zu überbrücken. Das ist doch unser Bestreben, oder etwa nicht?
Nun, was wäre wohl, wenn es keine Idee gäbe?
Der Spaltung wäre mit einem Schlag weg, nicht wahr?
Man wäre, was man ist. Aber man denkt: „Ich bin hässlich und ich muss schön werden, was soll ich tun?“ Dieses Tun basiert auf dem Denken.
„Ich bin nicht mitfühlend, muss also mitfühlend werden“. Man stellt dem Handeln eine Idee voran.
Auf diese Weise gibt es nie echtes Handeln aus dem heraus, was man ist, sondern immer nur das Tun aus einer Vorstellung heraus, was man sein wird.
Ein törichter Mensch sagt immer, er werde schlauer werden. Er setzt sich hin und arbeitet daran, er kämpft darum, schlau zu werden. Er hält nie inne, er sagt nie: „Ich bin töricht.“ Sein auf einer Idee beruhendes Handeln ist überhaupt kein Handeln.
Handeln bedeutet Bewegung. Aber wenn man eine Idee hat, ist es nur die Idee, die weitergeht, ein Denkvorgang, der sich in Bezug auf die Handlung vollzieht. Wenn es keine Idee gäbe, was würde dann geschehen?
Sie sind, was Sie sind. Sie sind z.B. unbarmherzig, unversöhnlich, grausam, dumm, gedankenlos. Können Sie das akzeptieren?
Wenn ja, dann schauen Sie, was passiert. Wenn Sie realisieren „ich lieblos, ich bin töricht“. Was geschieht, wenn Sie sehen, dass dem so ist?
Ist da nicht Nächstenliebe, nicht Erkenntniskraft im Spiel?
Wenn ich Lieblosigkeit erkenne, nicht mit Worten, nicht gekünstelt, wenn ich realisiere, dass ich lieblos und unbarmherzig bin, enthält nicht in dieses wahrhaftige Sehen selbst Liebe?
Werde ich nicht sofort mitfühlend?
Wenn ich die Notwendigkeit sehe, sauber zu sein, ist es sehr einfach: Ich gehe mich waschen. Aber wenn es ein Ideal ist und ich denke, ich sollte sauber sein, was dann? Dann ist Sauberkeit etwas Zukünftiges oder nur oberflächlich.
Alle Handlungen, die auf Ideen beruhen, sind sehr oberflächlich. Das ist überhaupt kein echtes Handeln. Es ist lediglich Einbildung, die Fortführung des Denkvorgangs.
Das Tun, das uns als menschliche Wesen transformiert, das Erneuerung, Erlösung, Verwandlung – wie man es auch nennen will – bringt, dieses Tun beruht auf keiner Idee.
Es ist ein Handeln unabhängig von Gedanken an Belohnung oder Bestrafung. Solches Tun ist zeitlos, weil der Verstand, der in der Zeit operiert, der abwägt, kalkuliert, trennt und abschottet, nicht dazwischen tritt.
Die obige Frage ist nicht so leicht zu lösen. Die meisten von Ihnen stellen Fragen und erwarten eine Antwort „ja“ oder „nein“.
Es ist leicht, mir Fragen über ein Thema zu stellen, sich dann zurückzulehnen und es sich von mir erklären zu lassen. Aber es ist viel anspruchsvoller, die Antwort selbst zu finden, so tief, so klar und ehrlich auf das Problem einzugehen, dass das Problem sich von selbst auflöst.
Das kann nur geschehen, wenn das Denken angesichts des Problems wirklich schweigt. die Fragestellung ist, wenn man sich ihr wirklich zuwendet, ebenso schön wie ein Sonnenuntergang. Wenn man dem Problem jedoch feindlich aber gegenübersteht, wird man es nie verstehen.
Die meisten von uns lehnen das konsequente Fragen ab, weil wir Angst haben vor dem Ergebnis, davor, was passiert, wenn durch die Befragung Sinn und Inhalt des Problems verloren gingen. (Wer bin ich dann?)