Wie man in dieser Welt leben soll

Wie man in dieser Welt leben soll

Fragender: Könnten Sie mir bitte sagen, wie ich in dieser Welt leben soll? Ich möchte nicht zu ihr gehören, doch muss ich in ihr leben, ich muss ein Haus haben und meinen Lebensunterhalt verdienen. Und meine Nachbarn gehören zu dieser Welt; meine Kinder spielen mit ihren Kindern, und so wird man ein Teil dieses hässlichen Durcheinander, ob man es will oder nicht. Ich möchte herausfinden, wie ich in dieser Welt leben kann, ohne ihr zu entfliehen, ohne in ein Kloster zu gehen oder die Welt in einem Segelboot zu umfahren. Ich möchte meine Kinder anders erziehen, aber zuerst möchte ich wissen, wie ich leben soll, umgeben von so viel Gewalttätigkeit, Gier, Heuchelei, Wettstreit und Brutalität.

Krishnamurti: Wir wollen daraus kein Problem machen. Wenn etwas zu einem Problem wird, sind wir an die Lösung des Problems gebunden, und dann wird das Problem zu einem Käfig, einer Schranke für weiteres Erforschen und Verstehen. Darum wollen wir nicht das ganze Leben auf ein riesiges und komplexes Problem reduzieren. Wenn die Frage darauf hinausläuft, die Gesellschaft, in der wir leben, zu überwinden oder ein Ersatzmittel für sie zu finden oder ihr zu entfliehen versuchen, obgleich wir in ihr leben, muss das unvermeidlich zu einem widerspruchsvollen und heuchlerischen Leben führen. Diese Frage beinhaltet zugleich die vollkommene Verneinung der Ideologie, nicht wahr? Wenn Sie wirklich forschen, dürfen Sie nicht mit einer gedanklichen Festlegung beginnen, und alle Ideologien sind Festlegungen. So müssen wir damit beginnen herauszufinden, was Sie unter Leben verstehen.

Fragender: Bitte, lassen Sie uns Schritt für Schritt vorangehen.

Krishnamurti: Ich freue mich, dass wir das Schritt für Schritt untersuchen können, voller Geduld, mit forschendem Geist und Herzen. Nun, was verstehen Sie unter Leben?

Fragender: Ich habe niemals versucht, es in Worte zu fassen. Ich bin verwirrt, ich weiß nicht, was ich tun, wie ich leben soll. Ich habe das Vertrauen zu allem verloren – zu den Religionen, den Philosophien und den politischen Utopien. Es ist Krieg zwischen den einzelnen Menschen und zwischen den Nationen. In dieser freizügigen Gesellschaft ist alles erlaubt: Töten, Raub, die zynische Unterdrückung eines Landes durch ein anderes – und niemand tut etwas dagegen, weil eine Einmischung den Weltkrieg bedeuten könnte. Ich bin mit dem allen konfrontiert und weiß nicht, was ich tun soll; ich weiß nicht, wie ich überhaupt leben soll. Ich möchte nicht inmitten solcher Verwirrung leben.

Krishnamurti: Wonach verlangen Sie – nach einem anderen Leben oder nach einem neuen Leben, das sich entfaltet, wenn man das alte Leben versteht. Wenn Sie den Wunsch haben, ein anderes Leben zu führen, ohne zuvor verstanden zu haben, was diese Verwirrung hervorgebracht hat, werden Sie immer im Widerspruch, in Konflikt, in Verwirrung sein. Und das hat natürlich nichts mit einem neuen Leben zu tun. Verlangen Sie also nach einem neuen Leben, das aus dem Verständnis des alten Lebens kommt, oder nach einer modifizierten Fortdauer des alten?

Fragender: Ich bin durchaus nicht sicher, was ich wünsche, aber ich beginne zu erkennen, was ich nicht wünsche.

Krishnamurti: Basiert das, was Sie nicht wünschen, auf Ihrem wahren Verstehen oder auf Ihrem Behagen oder Missbehagen? Urteilen Sie aus Ihrem Aufbegehren, oder sehen Sie die Ursächlichkeit dieses Konflikts und Elends und verwerfen Sie es, weil Sie es verstehen?

Fragender: Sie fragen mich zu viele Dinge. Alles was ich weiß, ist, dass ich ein anderes Leben führen möchte. Ich weiß nicht, was es bedeutet; ich weiß nicht, warum ich es suche; und wie ich sagte, bin ich durch das alles äußerst verwirrt.

Krishnamurti: Ihre grundlegende Frage ist doch wohl, wie Sie in dieser Welt leben sollen? Bevor Sie es herausfinden, lassen Sie uns zunächst sehen, was diese Welt ist. Die Welt ist nicht nur das, was uns umgibt, sie besteht auch aus unserer Beziehung zu allen diesen Dingen und Menschen, zu uns selbst und zu Ideen, das heißt aus unserer Beziehung zum Besitz, zum Menschen, zu Vorstellungen – faktisch aus unserer Beziehung zu dem Strom der Ereignisse, den wir Leben nennen. Das ist die Welt. Wir sehen die Einteilung in Nationalitäten, in religiöse, wirtschaftliche, politische, soziale und völkische Gruppen. Die ganze Welt ist auseinandergebrochen und ist außen ebenso zerstückelt, wie es die menschlichen Wesen innerlich sind. Tatsächlich ist diese äußere Zerstückelung die Manifestation des inneren Zerwürfnisses menschlichen Seins.

Fragender: Ja, ich sehe diese Zerstückelung sehr klar, und ich beginne auch zu erkennen, dass der Mensch verantwortlich ist.

Krishnamurti: Sie sind der Mensch!

Fragender: Kann ich denn anders leben als ich tatsächlich bin? Ich erkenne plötzlich, dass, wenn ich in einer völlig anderen Art leben soll, in mir eine neue Geburt stattfinden muss, mit einem neuen Geist und einem neuen Herzen und neuen Augen. Und ich erkenne auch, dass das nicht geschehen ist. Ich lebe so wie ich bin, und die Art wie ich bin, hat das Leben so gemacht, wie es ist. Aber wohin geht man von hier aus?

Krishnamurti: Sie gelangen von hier aus nirgendwohin! Es gibt kein Weitergehen. Das Trachten oder das Suchen nach dem Ideal, nach dem, was wir für besser halten, gibt uns das Gefühl, dass wir uns weiterentwickeln, dass wir uns auf eine bessere Welt zubewegen. Aber diese Bewegung ist überhaupt keine Fortbewegung, weil das Ziel aus unserem Elend, unserer Verwirrung, unserer Gier und unserem Neid projiziert worden ist. So ist denn dieses Ziel, das man für den Gegensatz hält von dem was ist, in Wirklichkeit dasselbe wie das was ist; es wird durch das was ist erzeugt. Daher schafft es den Konflikt zwischen dem was ist und dem was sein sollte. Hier beginnt unsere grundlegende Verwirrung und unser Konflikt. Das Ende ist nicht dort drüben, nicht auf der anderen Seite der Mauer; Anfang und Ende sind hier.

Fragender: Warten Sie bitte einen Augenblick; ich verstehe das überhaupt nicht. Wollen Sie damit sagen, dass das Ideal dessen, was sein sollte, dadurch entsteht, dass wir nicht verstehen was ist? Meinen Sie, dass das, was sein sollte, dem entspricht was ist, und dass die Bewegung von dem was ist zu dem was sein sollte, in Wirklichkeit keine Fortbewegung ist?

Krishnamurti: Es ist eine Idee, eine Fiktion. Wenn Sie verstehen was ist, welche Notwendigkeit besteht dann noch für das, was sein sollte?

Fragender: Ist das so? Ich verstehe was ist. Ich verstehe die Bestialität des Krieges, den Schrecken des Tötens, und weil ich es verstehe, habe ich das Ideal des Nichttötens. Das Ideal ist aus meinem Verständnis dessen was ist, geboren worden, daher ist es keine Flucht.

Krishnamurti: Wenn Sie verstehen, dass Töten schrecklich ist, müssen Sie dann noch ein Ideal haben, um nicht zu töten? Vielleicht sind wir uns nicht über das Wort verstehen im klaren. Wenn wir sagen, dass wir etwas verstehen, liegt darin doch wohl, dass wir alles begriffen haben, was es auszusagen hat. Wir haben es erforscht und die Wahrheit oder das Falsche darin entdeckt. Das schließt doch auch ein, dass dieses Verstehen keine intellektuelle Angelegenheit ist, sondern dass man es tief im eigenen Herzen empfunden hat. Verständnis gibt es nur, wenn Geist und Herz in vollkommener Harmonie sind. Dann sagt man, »ich habe das verstanden, und es ist für mich erledigt«; dann hat es nicht länger die Kraft, weiteren Konflikt zu erzeugen. Geben wir beide dem Wort verstehen dieselbe Bedeutung?

Fragender: Ich tat es bisher nicht, aber jetzt sehe ich ein, dass das, was Sie sagen, wahr ist. Doch verstehe ich ehrlich gesagt auf diese Art nicht die totale Unordnung der Welt, die, wie Sie richtig aufzeigten, meine eigene Unordnung ist. Wie kann ich es verstehen? Wie kann ich die Unordnung, die totale Unordnung und Verwirrung der Welt und meine eigene völlig begreifen lernen?

Krishnamurti: Gebrauchen Sie bitte nicht das Wort wie.

Fragender: Warum nicht?

Krishnamurti: Das wie deutet an, dass jemand sich anschickt, ihnen eine Methode, ein Rezept zu geben, das, wenn Sie danach arbeiten, Verständnis hervorbringen wird. Kann Verstehen jemals durch eine Methode erzeugt werden? Verstehen bedeutet Liebe und die Gesundheit des Geistes. Und Liebe kann nicht praktiziert oder gelehrt werden. Die Gesundheit des Geistes kann nur durch klare Wahrnehmung entstehen, wenn man die Dinge nüchtern und ohne Sentimentalität sieht. Diese beiden Dinge können weder durch einen anderen gelehrt werden noch durch ein System, das von Ihnen oder einem anderen erfunden wurde.

Fragender: Sie sind zu überzeugend, oder sind Sie vielleicht zu logisch? Versuchen Sie, mich zu beeinflussen, dass ich die Dinge so sehe wie Sie?

Krishnamurti: Das verhüte Gott! Beeinflussung in jeglicher Form zerstört die Liebe. Propaganda, die den Geist sensitiv und wach machen soll, wird ihn nur stumpf und gefühllos machen. Darum versuchen wir in keiner Weise, Sie zu beeinflussen oder zu überreden oder Sie abhängig zu machen. Wir zeigen nur auf, erforschen gemeinsam. Und um gemeinsam zu forschen, müssen Sie sowohl von mir frei sein als auch von Ihren Vorurteilen und Ängsten; sonst laufen Sie im Kreise herum, Darum müssen wir zu unserer ursprünglichen Frage zurückkehren: Wie soll ich in dieser Welt leben? Um darin zu leben, müssen wir die Welt verneinen. Damit meinen wir die Verneinung des Ideals, des Krieges, der Zersplitterung, des Wettstreits, des Neides und so fort. Wir meinen damit nicht, die Welt wie ein Schuljunge abzulehnen, der gegen seine Eltern revoltiert. Wir verneinen sie, weil wir sie verstehen. Dieses Verstehen ist Negation.

Fragender: Das geht über meinen Verstand!

Krishnamurti: Sie sagten, dass Sie nicht in der Verwirrung, der Unehrlichkeit und Hässlichkeit dieser Welt leben möchten. Darum verneinen Sie sie. Aber von welchem Hintergrund aus tun Sie das, warum verneinen Sie die Welt? Geschieht es, weil Sie ein friedvolles Leben führen möchten, ein Leben vollkommener Sicherheit und Abgeschlossenheit, oder lehnen Sie sie ab, weil Sie sehen, was sie tatsächlich ist?

Fragender: Ich glaube sie zu verneinen, weil ich um mich herum sehe, was vor sich geht. Natürlich gehören auch meine Vorurteile und Ängste dazu. So ist es eine Mischung des tatsächlichen Geschehens und meiner eigenen Angst.

Krishnamurti: Was ist vorherrschend: Ihre Angst, oder das wirkliche Sehen der Tatsachen um Sie herum? Wenn die Furcht vorherrscht, dann können Sie nicht sehen, was tatsächlich geschieht, weil Furcht Dunkelheit ist, und in der Dunkelheit können Sie absolut nichts sehen. Wenn Sie das erkennen, dann können Sie die Welt sehen, wie sie wirklich ist, dann können Sie sich selbst sehen, wie Sie wirklich sind. Denn Sie sind die Welt, und die Welt sind Sie; es sind nicht zwei getrennte Dinge.

Fragender: Würden Sie bitte ausführlicher erklären, was Sie darunter verstehen, dass die Welt ich ist und dass ich die Welt bin.

Krishnamurti: Bedarf das wirklich einer Erklärung? Wollen Sie, dass ich im einzelnen beschreibe, was Sie sind, und Ihnen zeige, dass Sie dasselbe sind, was die Welt ist? Wird diese Beschreibung Sie überzeugen, dass Sie die Welt sind? Werden Sie durch eine logische, folgerichtige Erklärung, die Ihnen Ursache und Wirkung aufzeigt, überzeugt sein? Wenn Sie durch sorgfältige Beschreibung überzeugt werden, wird Ihnen das Verständnis geben? Wird es Sie fühlen lassen, dass Sie die Welt sind, Ihnen das Gefühl geben, dass Sie für die Welt verantwortlich sind?

Es erscheint so klar, dass unsere menschliche Gier, unser Neid, unsere Aggression und Gewalttätigkeit die Gesellschaft geschaffen haben, in der wir leben – eine legalisierte Hinnahme dessen, was wir sind. Ich glaube, dass das wirklich hinreichend klar ist, und wir wollen für dieses Problem keine Zeit mehr verschwenden. Sehen Sie, wir haben dafür kein Empfinden, wir lieben nicht, darum besteht diese Trennung zwischen uns und der Welt.

Fragender: Darf ich morgen wiederkommen?

(Er kam am nächsten Tag voller Eifer zurück, und in seinen Augen lag die Klarheit des Forschens.)

Fragender: Ich möchte, wenn es Ihnen recht ist, weiter in die Frage eindringen, wie ich in dieser Welt leben soll. Ich verstehe jetzt mit Herz und Geist, wie äußerst unwichtig Ideale sind – wie Sie es gestern erklärten. Es gab einen ziemlich langen Kampf darum, und ich habe schließlich eingesehen, wie trivial Ideale sind. Sie sagen doch, dass, wenn es keine Ideale oder Auswege gibt, nur die Vergangenheit da ist, die tausend Gestern, die das »Ich« ausmachen.
Wenn ich daher frage, wie ich in dieser Welt leben soll, habe ich nicht nur eine falsche Frage gestellt, sondern ich habe zugleich etwas Widersprüchliches getan, denn ich habe die Welt und das »Ich« in Gegensatz zueinander gebracht. Und diesen Widerspruch nenne ich Leben. Wenn ich also die Frage stelle, wie ich in dieser Welt leben soll, versuche ich tatsächlich, diesen Widerspruch zu verfeinern, ihn zu rechtfertigen, ihn zu modifizieren, weil das alles ist, was ich weiß; ich kenne nichts anderes.

Krishnamurti: Das ist also die Frage, die sich uns jetzt stellt: muss Leben immer in der Vergangenheit sein, muss jede Tätigkeit der Vergangenheit entspringen, sind alle Beziehungen das Ergebnis der Vergangenheit, ist Leben die komplexe Erinnerung der Vergangenheit? Das ist alles, was wir kennen – die Vergangenheit, die die Gegenwart modifiziert. Und die Zukunft ist das Ergebnis dieser Vergangenheit, die durch die Gegenwart handelt. So sind also Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft die Vergangenheit. Und diese Vergangenheit nennen wir Leben. Der Geist ist die Vergangenheit, das Gehirn ist die Vergangenheit, die Gefühle sind die Vergangenheit, und die Handlung, die daraus entsteht, ist die positive Tätigkeit des Bekannten. Dieser ganze Prozess ist Ihr Leben mit all den Beziehungen und Tätigkeiten, die Sie kennen. Wenn Sie daher fragen, wie Sie in dieser Welt leben sollen, verlangen Sie nach einer Veränderung des Gefängnisses.

Fragender: Das meine ich nicht. Ich meine folgendes: Ich sehe sehr klar, dass mein Prozess des Denkens und Tuns die Vergangenheit ist, die durch die Gegenwart in die Zukunft wirkt. Das ist alles, was ich weiß, und das ist eine Tatsache. Und ich erkenne, dass ich darin gefangen bin, dass ich es bin, solange sich diese Struktur nicht verändert. Hieraus erhebt sich unvermeidlich die Frage: Wie soll ich mich verwandeln?

Krishnamurti: Um in dieser Welt geistig gesund zu leben, ist eine radikale Verwandlung von Geist und Herz notwendig.

Fragender: Ja, aber was verstehen Sie unter Verwandlung? Wie soll ich mich verwandeln, wenn alles, was ich tue, die Bewegung der Vergangenheit ist? Ich kann mich nur selbst verwandeln, niemand anderes kann das für mich tun. Und ich verstehe nicht, was es bedeutet, sich zu verwandeln.

Krishnamurti: So ist aus der Frage »wie ich in dieser Welt leben soll«, nun geworden: »Wie soll ich mich verwandeln?« – wobei nicht vergessen werden darf, dass das Wie keine Methode bedeutet, sondern ein Erforschen ist, um zu verstehen. Was ist Verwandlung? Gibt es überhaupt eine Verwandlung? Oder kann man danach nur fragen, nachdem eine totale Verwandlung und Revolution stattgefunden hat? Lassen Sie uns wiederum damit beginnen herauszufinden, was dieses Wort bedeutet. Verwandlung umschließt eine Bewegung von dem was ist zu etwas anderem hin. Ist dieses andere nur ein Gegensatz, oder gehört es zu einer gänzlich anderen Ordnung?

Wenn es nur ein Gegensatz ist, dann ist es überhaupt nichts anderes, weil alle Gegensätze wechselseitig bedingt sind, wie heiß und kalt, hoch und niedrig. Der Gegensatz ist in seinem Gegensatz enthalten und durch ihn festgelegt; er ist nur im Vergleich vorhanden, und die Dinge, die vergleichbar sind, haben nur verschiedene Maße derselben Beschaffenheit und sind daher gleichartig. So ist eine Verwandlung in einen Gegensatz überhaupt keine Verwandlung. Selbst wenn dieses Hingehen zu dem, was anders erscheint, Ihnen das Gefühl gibt, dass Sie wirklich etwas tun, es ist eine Illusion.

Fragender: Lassen Sie mich das für einen Augenblick in mich aufnehmen.

Krishnamurti: Womit sind wir also jetzt beschäftigt? Ist es möglich, die Geburt einer gänzlich neuen Ordnung in uns herbeizuführen, die nicht auf die Vergangenheit bezogen ist? Die Vergangenheit ist für dieses Forschen belanglos und unbedeutend, weil sie auf die neue Ordnung nicht anwendbar ist.

Fragender: Wie können Sie sagen, dass sie unbedeutend und belanglos ist? Wir haben ständig gesagt, dass die Vergangenheit das Problem ist, und nun sagen Sie, sie sei nebensächlich.

Krishnamurti: Die Vergangenheit scheint das einzige Problem zu sein, weil sie allein unseren Geist und unsere Herzen beherrscht. Sie allein ist für uns wichtig. Aber warum geben wir ihr diese Bedeutung? Warum ist dieser kleine Raum so äußerst wichtig? Wenn Sie durch die Vergangenheit völlig in Anspruch genommen und darauf festgelegt sind, werden Sie niemals der Verwandlung Gehör schenken. Der Mensch, der nicht völlig festgelegt ist, ist als einziger fähig, zu lauschen, zu forschen und zu fragen. Nur dann wird er imstande sein, die Trivialität dieses kleinen Raumes zu sehen. – Sind Sie nun völlig versunken oder ist Ihr Kopf über dem Wasser? Wenn Ihr Kopf über dem Wasser ist, dann können Sie sehen, dass dieses kleine Ding belanglos ist. Dann haben Sie Spielraum, um herauszuschauen.

Wie tief sind Sie versunken? Niemand als Sie selbst kann diese Frage beantworten. In dieser Fragestellung liegt bereits die Freiheit, und dann fürchtet man sich nicht mehr. Dann ist Ihre Einsicht umfassend. Wenn aber diese Schablone der Vergangenheit Sie fest an der Kehle hält, dann fügen Sie sich, dann akzeptieren, gehorchen, folgen, glauben Sie. Nur wenn Sie gewahr sind, dass das nichts mit Freiheit zu tun hat, beginnen Sie herauszusteigen. So fragen wir wiederum: was ist Verwandlung, was ist Revolution? Verwandlung ist nicht eine Bewegung vom Bekannten zum Bekannten, und alle politischen Revolutionen sind das. über diese Art der Verwandlung sprechen wir hier nicht. Sich vom Zustand eines Sünders zu dem eines Heiligen fortzuentwickeln, ist ein Fortschreiten von einer Illusion zu einer anderen. So, jetzt sind wir frei von der Verwandlung als einer Bewegung von diesem zu jenem.

Fragender: Habe ich das wirklich verstanden? Was soll ich mit dem Arger, der Gewalttätigkeit und der Furcht tun, wenn sie in mir aufsteigen? Soll ich ihnen freien Lauf lassen? Was soll ich mit ihnen anfangen? Es muss da eine Verwandlung stattfinden, sonst bin ich, was ich zuvor war.

Krishnamurti: Ist Ihnen klar, dass diese Dinge nicht durch ihren Gegensatz überwunden werden können? Wenn ja, dann ist nur die Gewalt da, der Neid, der Ärger, die Gier. Das Gefühl stellt sich als das Resultat einer Herausforderung ein, und dann wird es benannt. Dieses Benennen des Gefühls setzt es erneut in die alte Schablone ein. Wenn Sie es nicht benennen, das heißt, wenn Sie sich nicht damit identifizieren, dann ist das Gefühl neu und wird von selbst vergehen. Das Benennen verstärkt es und gibt ihm Fortdauer, und das ist der ganze Prozess des Denkens.

Fragender: Ich fühle mich in eine Ecke getrieben, wo ich mich sehe, wie ich tatsächlich bin, und ich erkenne, wie trivial ich bin. Was kommt von da aus als Nächstes?

Krishnamurti: Jede Bewegung von dem hinweg, was ich bin, verstärkt was ich bin. So ist Verwandlung ganz und gar keine Bewegung. Verwandlung ist die Verneinung der Veränderung, und nun erst kann ich diese Frage stellen: gibt es überhaupt eine Verwandlung? Diese Frage kann nur gestellt werden, wenn jede Bewegung des Denkens aufgehört hat, denn das Denken muss um der Schönheit der Nicht-Verwandlung willen verneint werden. In der totalen Negation jeder Bewegung des Denkens, hinweg von dem was ist, liegt das Ende dessen was ist.

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