Frage Zum Thema Stille des Geistes: Sie sprechen von der Stille des Geistes, was meinen Sie damit?
Krishnamurti: Ist es nicht nötig, dass der Geist still ist, wenn man etwas verstehen will?
Wenn man ein Problem hat, machen wir uns Gedanken darüber, nicht wahr?
Man geht darauf ein, man analysiert es , man reisst es in Stücke, in der Hoffnung, es zu verstehen. Doch: Versteht wir durch Anstrengung, durch Analyse, durch Vergleich, durch irgendeine Form von mentalem Kampf?
Natürlich nicht. Verstehen kommt nur, wenn der Geist sehr ruhig ist. Wir sagen zum Beispiel: Je mehr wir uns mit den Problemen von Hunger, Krieg oder irgendeinem anderen menschlichen Konflikt auseinandersetzen, je mehr wir damit konfrontiert werden, umso besser werden wir sie verstehen. Ist das wahr?
Kriege gibt es seit Jahrhunderten, der Streit zwischen Individuen und zwischen Gesellschaften, innerlich und äußerlich, ist allgegenwärtig. Lösen wir einen Krieg, einen Konflikt, durch weitere Konflikte, durch mehr Streit, durch ausgeklügelte Beschäftigung damit?
Ist es nicht so, dass wir ein Problem nur verstehen, wenn wir direkt davor stehen, wenn wir mit der Tatsache konfrontiert sind?
Wir können uns aber einer Tatsache nur stellen, wenn es keine störende Einmischung des Geistes gibt. Ist es also nicht wichtig, dass der Geist still ist, wenn man die Tatsache verstehen will?
Wie kann der Geist zur Ruhe gebracht werden?
Sie werden unweigerlich fragen: „Wie kann der Geist zur Ruhe gebracht werden?“ Das ist die Ihre unmittelbare Reaktion, nicht wahr?
Sie sagen: „Mein Geist ist aufgewühlt, wie kann ich ihn zur Ruhe bringen?“
Kann irgendein System den Geist zur Ruhe bringen?
Kann eine Formel, eine Disziplin, den Geist zur Ruhe bringen?
Das kann es; aber wenn der Geist ruhig gemacht wird, ist das dann Ruhe, ist das Stille?
Oder ist der Geist dann bloss in einer Idee eingefangen, in einer Formel, in einer Floskel ?
Ein solcher Geist ist ein lebloser Geist, nicht wahr?
Das ist der Grund, warum die meisten Menschen, die versuchen, spirituell zu sein – so genannt spirituell – innerlich leer sind. Sie haben ihren Geist darauf trainiert, still zu sein, sie haben sich in einer Methode für das Stillsein verfangen. Ein solcher Geist ist niemals still; er ist bloss geknebelt, unterdrückt.
Der Geist ist still, wenn er die Wahrheit sieht, dass Verstehen nur eintritt, wenn er still ist. Zum Beispiel: Wenn ich dich verstehen möchte, muss ich still sein, ich darf keine Reaktionen auf dich haben, ich darf nicht voreingenommen sein, ich muss alle meine Urteile, alle meine Erfahrungen beiseite legen und dir von Angesicht zu Angesicht begegnen.
Der stille Geist
Erst dann, wenn der Geist von meinen Denkgewohnheiten frei ist, verstehe ich. Wenn ich die Wahrheit erkenne, dann ist der Geist still – und die Frage, wie man den Geist still machen kann, existiert nicht mehr.
Nur die Wahrheit kann den Geist von seinen eigenen Vorstellungen befreien. Um die Wahrheit zu sehen, muss der Geist die Tatsache erfassen, dass er, solange er aufgewühlt ist, kein Verständnis haben kann.
Die Ruhe des Geistes, die Stille des Geistes, ist nicht etwas, das durch Willenskraft, durch irgendeine Aktion des Verlangens erzeugt werden kann. Wenn ein Wollen vorhanden ist, dann ist der Geist verschlossen, isoliert, leblos. Ein solcher Geist ist daher nicht zu Anpassungen, Biegsamkeit und Wendigkeit fähig. Ein unfreier Geist ist nicht kreativ.
Unsere Problematik liegt also nicht darin, wie wir den Geist zur Ruhe bringen können, sondern die Wahrheit eines jeden Problems so zu sehen, wie es sich uns präsentiert.
Es ist wie ein Teich, der still wird, wenn der Wind aufhört. Unser Geist ist aufgewühlt, weil wir Probleme haben; und um den Problemen auszuweichen, wollen wir den Geist zur Stille zwingen.
Nun ist es aber das Denken, dass diese Probleme hervorgebracht hat – ohne das Denken gibt es keine Probleme – und solange der Verstand irgendeine Vorstellung von Verstehen projiziert und absichtlich irgendeine Form von Stille praktiziert, kann er niemals still sein. Wenn der Geist erkennt, dass das Verstehen nur in der Stille erscheint – dann wird er von selbst sehr still.
Diese Stille ist nicht aufgezwungen, nicht diszipliniert, es ist eine Stille, die von einem aufgewühlten, unruhigen Geist nicht erfasst werden kann.
Isolation bringt keine Stille
Viele, die Stille des Geistes suchen, ziehen sich aus dem aktiven Leben zurück in ein Dorf, in ein Kloster, in die Berge, oder sie ziehen sich in Ideen zurück, schließen sich in einen Glauben ein oder meiden Menschen, die ihnen Ärger bereiten.
Solche Isolation ist keine Geistesstille. Das Einschließen des Geistes in eine Idee oder das Meiden von Menschen, die das Leben kompliziert machen, führt nicht zur Stille des Geistes.
Stille des Geistes entsteht nur, wenn es keinen fortlaufende Isolation durch die Ansammlung von Erfahrungen und Gewohnheiten gibt, sondern wenn man das Prinzip von Beziehung vollständig versteht.
Das Speichern von und das Haften an Erfahrungen macht den Geist alt; nur wenn der Geist neu ist, frisch, und frei von der Vergangenheit – nur dann gibt es eine Möglichkeit, die Stille des Geistes zu erfahren.
Ein solcher Geist ist nicht tot, er ist höchst lebendig. Der stille Geist ist der Geist höchster Aktivität. Aber wenn Sie damit experimentieren, tief in ihn hineingehen, werden Sie sehen, dass es in der Stille keine Projektion von Gedanken gibt.
Gedanken sind auf allen Ebenen eindeutig Reaktionen des Gedächtnisses, und Vergangenes kann niemals schöpferisch sein.
Das Denken mag Schöpferkraft bekunden, aber der Gedanke allein kann niemals schöpferisch sein.
Wenn Stille herrscht
Wenn Stille herrscht – die Geistesstille, die nicht das Resultat vor irgend etwas ist – dann sieht man, dass darin eine außerordentliche Aktivität enthalten ist, eine besondere Aktivität, die ein durch Gedanken aufgewühlter Geist niemals auch nur erahnen kann. In dieser Stille gibt es kein Gesetz, keine Rezept, keine Idee, keine Erinnerung. Es ist die Stille der immer neuen Schöpfung, die nur erfahren werden kann, wenn der ganze Ich-Komplex vollständig durchschaut und verstanden wird. Erzwungene, gewollte Stille hat keine Bedeutung. Nur in dieser Stille, die kein Ergebnis von etwas ist, wird das Ewige entdeckt, das sich außerhalb der Zeit befindet.