Eine andere Art zu leben

Eine andere Art zu leben

Eine andere Art zu leben – Krishnamurti: Sollten wir nicht eigentlich das betrachten, was wir heutzutage Leben nennen, was tatsächlich stattfindet? Was wir Existenz, Leben nennen, diese zwei Worte decken das ganze Feld des menschlichen Bemühens ab, sich selbst zu bessern. Nicht nur technisch, sondern ebenso psychisch möchte der Mensch sich verändern, möchte er mehr sein als er ist. Wenn wir den Menschen in irgendeinem Land betrachten, welcher Rasse oder Religion er auch immer angehören mag, sehen wir: Es ist ein unablässiges Ringen vom Augenblick der Geburt bis zum Augenblick des Todes.

Es ist ein Kampf, nicht nur in den intimen oder anderen Beziehungen zu anderen Menschen, sondern auch wirtschaftlich, sozial und moralisch ist es eine große Schlacht. Ich denke, dem stimmt jeder zu. Es ist offensichtlich. Der Konflikt, das Ringen, das Leiden, der Schmerz, die Frustration, die Seelenqual, die Verzweiflung, die Gewalt, die Brutalität, das Töten, all das ist es, was wirklich vor sich geht.

Vierzig oder fünfzig Jahre in einem Büro oder in einer Fabrik verbringen, gelegentliche Ferien für einen Monat, und das auf abenteuerliche Weise, weil Ferien die Reaktion auf ein eintöniges Leben sind. Man sieht sie überall in Europa: Amerikaner, die von einem Museum zum anderen gehen, sich dieses ansehen, jenes ansehen, herumrennen auf der Flucht vor der Eintönigkeit ihrer täglichen Routine. Und sie fahren nach Indien.

Ich glaube, da gibt es ungefähr 15000 merkwürdig gekleidete sogenannte Hippies in verschiedenen Klöstern und Städten, wo sie die phantastischsten Dinge tun. Einige von ihnen verkaufen Drogen, ziehen sich indische Kleider an oder verkleiden sich als Mönche. Es ist eine Art großer romantischer, sentimentaler Flucht vor ihrem täglichen eintönigen routinierten Leben. Das nennen wir Leben: Den Kampf innerhalb der Beziehung, den Kampf im Geschäftsleben, im wirtschaftlichen Umfeld. Es ist ein ständiges Ringen.

A. W. Anderson: Aber was Sie gesagt haben, scheint im Leben selbst enthalten zu sein. Es gibt den Spruch: »Das Leben ist ein Kampf«, und wir interpretieren ihn so, wie Sie es ausdrückten.

Krishnamurti: Und niemand scheint sich zu fragen, warum es so ist? Wir alle haben es akzeptiert. Wir sagen: »Ja, das gehört zu unserer Existenz. Wenn wir nicht kämpfen, werden wir zerstört. Es ist Teil unseres natürlichen Erbes. Beim Tier sehen wir, wie es kämpft, und wir sind teilweise noch Tier, teilweise noch Affe und so müssen wir also weiter kämpfen, kämpfen, kämpfen.« Wir haben uns nie gefragt, ob das richtig ist! Ist das die Art zu leben? Ist das die Art, sich zu verhalten, die Schönheit des Lebens zu würdigen?

A. W. Anderson: Gewöhnlich geht es nur darum, wie der Kampf noch effektiver geführt werden kann.

Krishnamurti: Effektiv oder erfolgreich, mit möglichst geringem Schaden, unter geringster Anstrengung, ohne Herzversagen … Aber der Boden ist für den Kampf vorbereitet. Die Mönche machen es so, die religiösen Leute tun es, die Geschäftsleute, die Künstler, die Maler, jeder Mensch, in welche Schublade er auch immer passen mag, befindet sich im Kampf. Und das nennen wir Leben. Und jemand, der das auf intelligente Weise betrachtet, würde sagen: Um Gottes willen, das ist nicht die richtige Art zu leben, lasst uns herausfinden, ob es eine andere Art zu leben gibt.

Aber keiner fragt das. Ich habe mit vielen Politikern und vielen Gurus überall auf der Welt gesprochen. Ich habe mit Künstlern, mit Geschäftsleuten, mit Handwerkern, mit Arbeitern und mit sehr, sehr armen Leuten gesprochen. Es ist ein ständiger Kampf, bei den Reichen, den Armen, der Mittelklasse, den Wissenschaftlern. Und niemand sagt, das ist falsch, das ist kein Leben. Es ist zum Verrücktwerden.

Manche jungen Leute haben sich die Frage gestellt, werden aber Außenseiter: Entweder sie treten einer Kommune bei oder werden Hindu, gehen in irgendein altertümliches Land und geben sich einfach auf, tun nichts, denken nichts, leben dahin. Es ist also eine berechtigte Frage, die eine triftige Antwort erfordert. Man theoretisiert nicht, sondern sagt sich: Ich werde anders leben, ich werde ohne Konflikt leben.

Sehen Sie, was das bedeutet. Ich frage mich, ob man von der Gesellschaft vernichtet wird, wenn man nicht kämpft. Ich persönlich habe nie gekämpft. Mir ist es niemals in den Sinn gekommen, mit mir selbst oder einem anderen zu kämpfen. Ich glaube also, eine Frage dieser Art darf nicht nur verbal gestellt werden, sondern muss erkennen lassen, ob es für jeden von uns möglich ist, auf andere Weise zu leben, nämlich ohne einen einzigen Konflikt. Das heißt ohne Teilung.

Konflikt bedeutet Teilung

Konflikt heißt Kampf der Gegensätze. Konflikt bedeutet: Du und ich, wir und sie, Amerikaner und Russen, Teilung, Teilung, Teilung – nicht nur innere, sondern auch äußere Zersplitterung. Wo es Zersplitterung gibt, muss es Kampf geben. Ein Fragment übernimmt die Macht und dominiert die anderen Fragmente. Ein intelligenter Mensch – falls es einen solchen gibt, muss eine Art zu leben finden, die nicht bedeutet halb zu schlafen, zu vegetieren, die nicht Flucht in irgendeine schwärmerische, mystische Vision und dieses ganze Zeug ist, sondern eine alltägliche Lebensweise, in der jede Art von Konflikt ein Ende gefunden hat. Es ist möglich.

Ich habe all diese Kämpfe um mich herum während der letzten fünfzig Jahre beobachtet, die spirituellen, die wirtschaftlichen und die sozialen, die Kämpfe der Diktaturen, der Faschisten, der Kommunisten, der Nazis und einer Klasse, welche die andere bekämpft. Dies alles hat seine Wurzeln in Anhalten zum Gehorsam, Abhalten vom Gehorsam, Nachahmung, Anpassung, Gehorchen: In jeder Art von Kampf. Das Leben ist also ein Kampf geworden. Und für mich persönlich bedeutet diese Lebensweise, auf die zerstörerischste, unschöpferischste Art zu leben. Ich werde so nicht leben. Ich würde lieber verschwinden.

A. W. Anderson: Ich glaube, einige Verwirrung in unseren Köpfen entsteht, wenn wir uns mit diesem Kampf, so wie Sie ihn beschreiben, identifizieren. Wenn wir anfangen, über die Frage nachzudenken, ob dies so weitergehen soll, und wir dabei das Bild eines Kampfs vor Augen haben, dann stellen wir uns vor, es sei die menschliche Entsprechung zu dem, was in der Natur als »sich mit Zähnen und Klauen verteidigen« bezeichnet wird. Wenn ich Sie jedoch richtig verstanden habe, ist das ein kardinaler Fehler, denn Sie haben in unseren früheren Gesprächen sehr klar darauf hingewiesen, dass wir zwischen Angst und Gefahr unterscheiden müssen. Bei Gefahr reagieren Tiere in ihrer eigenen Umgebung sofort und eindeutig. Wir scheinen jedoch einen Fehler zu machen, wenn wir uns dem Problem des menschlichen Konflikts durch diese Analogie nähern. Sie ist, wenn ich Sie richtig verstanden habe, hier nicht anwendbar.

Krishnamurti: Nein, das ist sie nicht. Wir studieren die Tiere und die Vögel, um die Menschen zu verstehen, während man doch den Menschen studieren kann, der man selbst ist. Sie brauchen nicht die Tiere heranzuziehen, um den Menschen kennenzulernen. Dieses ist wirklich eine sehr wichtige Frage, denn ich habe, wenn ich ein bisschen über mich selbst sprechen darf, all das beobachtet.

Ich habe es in Indien beobachtet, an Sannyasins, Mönchen, Gurus, ihren Jüngern und an den Politikern auf der ganzen Welt – irgendwie ergibt es sich, dass ich sie alle treffe –, an bekannten Schriftstellern, einigen Malern. Die meisten haben mich aufgesucht. Und sie haben tiefe Angst, dass sie ein Nichts sind, wenn sie nicht kämpfen. Sie werden Versager sein. Das heißt, für sie ist dieses die einzige und richtige Art zu leben.

Und das wird uns von Kindheit an beigebracht. Das ist unsere Erziehung: Kämpfen, nicht nur mit uns selbst, sondern mit dem Nächsten und ihn trotzdem lieben, nicht wahr? Es wird so lächerlich. Gibt es also, nachdem wir dies klargelegt haben, einen Weg, ohne Konflikt zu leben?

Ich sage, es gibt ihn. Ganz offensichtlich, nämlich, indem wir die Teilung verstehen, den Konflikt verstehen, erkennen, wie zersplittert wir sind und nicht versuchen, die Fragmente zusammenzufügen, was unmöglich ist. Denn das Handeln aus dieser Wahrnehmung heraus unterscheidet sich vollkommen von einem Integrieren. Das Erkennen der Zersplitterung, die Konflikt hervorruft, die Teilung hervorruft, die diesen ständigen Kampf, die Angst, die Anspannung und das Herzversagen verursacht; dies ist es, was geschieht. Es erkennen, es wahrnehmen.

Dieses Wahrnehmen bringt ein Handeln hervor, das sich vollkommen von dem Handeln im Konflikt unterscheidet.

Denn das Handeln aus einem Konflikt heraus hat seine eigene Energie, schafft seine eigene Energie, die wiederum Teilung verursacht, die zerstörerisch und gewalttätig ist. Aber die Energie des Wahrnehmens und Handelns ist vollkommen anders. Und diese Energie ist die Energie der Schöpfung. Alles, was aus der Schöpfung entsteht, kann sich nicht in Konflikt befinden. Ein Künstler, der sich in Konflikt mit seinen Farben befindet, ist kein schöpferischer Mensch, obwohl er mag handwerklich und technisch perfekt sein, eine Anlage zum Malen haben.

Unsere Lebensweise ist die unbrauchbarste, unsinnigste Art zu leben. Und wir wollen diese unsinnige Weise praktischer machen. Das verlangen wir immer. Wir sagen niemals: Lasst uns eine Lebensweise finden, die ganz ist und daher gesund, vernünftig und heilig. Wenn man auf diese Weise das Leben wahrnimmt, ist das Handeln die Freisetzung totaler Energie, die nicht zersplittert ist, und daher nichts zu tun hat mit dem Künstler, dem Geschäftsmann, dem Politiker, dem Priester oder Laien.

Um nun einen solchen Geist hervorzubringen, solch eine Lebensweise, muss man beobachten, was wirklich äußerlich und innerlich stattfindet, in uns und außerhalb von uns. Es anschauen, nicht versuchen, es umzugestalten, nicht versuchen, irgendeine Anpassung vorzunehmen, sondern wirklich die Tatsachen sehen: Ich schaue einen Berg an, ich kann ihn nicht verändern, nicht einmal mit einem Bulldozer kann ich ihn verändern. Aber wir wollen das, was wir sehen, verändern. Der Beobachter ist das Beobachtete. Darum gibt es nichts daran zu verändern. Wobei es bei der Wahrnehmung keinen Beobachter gibt. Es gibt nur das Sehen und darum das Handeln.

A. W. Anderson: Das spiegelt eines unserer früheren Gespräche wider, in dem Sie über Schönheit, Leidenschaft, Leiden und Handeln sprachen. Ich erinnere mich, Sie gefragt zu haben, ob man, um die richtige Beziehung unter ihnen wiederzufinden, mit dem Leiden beginnen muss, das Leidenschaft erzeugt, wenn es so wahrgenommen wird, wie es wahrgenommen werden sollte. Man muss gar nichts dazu tun. Es geschieht. Und im selben Moment entfalten sich Schönheit und Liebe. Also ist die Leidenschaft in sich Mitgefühl, Mitleid. Das »mit« erscheint gemeinsam mit der Leidenschaft.

Krishnamurti: Wenn Sie als Professor oder Lehrer oder als Eltern auf die Realitätsferne unserer Art zu leben hinweisen könnten, auf seine zerstörerische Gewalt und auf die enorme Gleichgültigkeit der Erde gegenüber – wir zerstören alles, was wir berühren. Das zu tun und eine Lebensweise aufzuzeigen, in der es keinen Konflikt gibt, scheint mir die wichtigste Aufgabe in der Erziehung zu sein.

A. W. Anderson: Ja, mir scheint, dies erfordert, dass der Lehrer selbst ohne Konflikt ist. Das ist ein ganz anderer Ausgangspunkt als das, was in unserem allgemeinen Erziehungsprogramm geschieht. Ich habe beobachtet, welche enorme Bedeutung meine Kollegen der Technik der Erziehung beimessen.

Krishnamurti: Ich muss mich zuerst transformieren, damit ich lehren kann. Wissen Sie, es gibt etwas dabei, was nicht ganz klar ist: Ich muss warten, bis ich mich verändere. Warum kann ich mich als Erzieher nicht im Moment des Unterrichtens ändern?

Die Jungen, die Mädchen, die Studenten leben in Konflikt; der Erzieher lebt in Konflikt. Wenn ich ein Erzieher mit vielen Schülern wäre, würde ich als erstes sagen: »Ich lebe in Konflikt, ihr lebt in Konflikt, lasst uns in einer Diskussion, in der uns unsere Beziehung klar wird, herausfinden, ob es für mich und für euch nicht möglich wäre, diesen Konflikt aufzulösen. Das ist dann Handeln. Aber wenn ich warte, bis ich frei von jedem Konflikt bin, kann ich bis zum jüngsten Tag warten.

Das ist das erste, was ich diskutieren würde, nicht die technischen Fächer. Denn das ist Leben. Und auch beim Unterrichten eines technischen Faches würde ich sagen: »Gut, lasst uns sehen, wie wir dies angehen und daraus lernen«, so dass sowohl die Schüler als auch der Erzieher ihre Konflikte kennen und engagiert sind, sie aufzulösen. Und darum sind sie außerordentlich interessiert. Das schafft eine außergewöhnliche Beziehung. Ich habe es beobachtet. Ich besuche mehrere Schulen in Indien und in England, und dort findet es statt.

Die Energie, die durch Konflikt geschaffen wird, ist zerstörerisch. Die Energie, die durch Konflikt, Anstrengung und Kampf entsteht, produziert Gewalt, Hysterie und neurotisches Handeln. Wogegen die Handlung durch Wahrnehmung total ist, nicht fragmentarisch, und daher ist sie gesund und vernünftig. Sie bringt intensivste Fürsorge und Verantwortung mit sich. Das also ist der Weg zu leben: Sehen, handeln, sehen, handeln, zu jeder Zeit. Ich kann nicht sehen, wenn sich der Beobachter vom Beobachteten unterscheidet. Der Beobachter ist das Beobachtete.

Sie sehen also, dass der gesamte Inhalt unseres Bewusstseins Kampf ist, ein Schlachtfeld, und das nennen wir Leben.

Und wie kann in diesem Kampf Liebe existieren? Wenn ich Sie schlage, wenn ich Ihnen Konkurrenz mache, wenn ich versuche, Sie zu überrunden, wenn ich erfolgreich und unbarmherzig bin, wie soll dann die Flamme der Liebe oder des Mitleids, der Zartheit, der Güte entstehen? Sie entsteht nicht. Und darum hat unsere Gesellschaft, so wie sie jetzt ist, keinen Sinn für moralische Verantwortung hinsichtlich des Handelns oder der Liebe. Sie existiert nicht.

Liebe kann nur existieren, wenn der Wahrnehmende das Wahrgenommene ist und handelt. Wenn das verstanden ist und wir danach handeln, dann wird diese Flamme sein, dieses Mitempfinden, dieses Gefühl, die Erde in den Armen zu halten, denn das ist die Basis, die wir in uns selbst herstellen müssen. Nachdem wir dies in uns hervorgebracht oder in uns beobachtet haben, werden wir zur Frage nach dem Tod übergehen, denn das Problem des Todes ist etwas Unermessliches.

Für mich sind Leben, Liebe und Tod nicht zu trennen. Sie sind eine Bewegung. Es ist nicht der Tod dort drüben, dem ich in zwanzig Jahren oder morgen begegnen werde. Der Tod ist anwesend, zusammen mit der Liebe und dem Leben. Es ist eine fortlaufende unteilbare Bewegung. Auf diese Weise lebe ich, denke ich, fühle ich. Das ist mein Leben. Ich meine das so. Es sind nicht nur Worte für mich.

Bewusstsein

Bevor wir uns jedoch mit der Frage des Todes befassen, müssen wir uns mit der Frage beschäftigen, was Bewusstsein ist. Denn wir müssen verstehen, was Bewusstsein ist, nicht die Beschreibung oder Erklärung, nicht das Wort verstehen, sondern die Wirklichkeit des Bewusstseins. Bin ich als Mensch jemals bewusst? Und was heißt es: Bewusst zu sein? Was ist das: Wahrnehmen? Nehme ich ganz und gar wahr oder nur gelegentlich, wenn eine Krise aufkommt, ansonsten schlafe ich?

Darum ist es sehr wichtig herauszufinden, was Bewusstsein ist. Was also ist Bewusstsein? Das Bewusstsein ist sein Inhalt. Ich drücke es sehr einfach aus. Ich ziehe es vor, über diese Dinge auf sehr einfache Weise zu sprechen, ohne umständliche, sprachkundliche Beschreibungen, Theorien und Vermutungen. Das hat für mich persönlich keine Bedeutung. Das Bewusstsein ist sein Inhalt, der Inhalt ist das Bewusstsein. Sie sind nicht voneinander zu trennen. Das heißt, die Gedanken, die Ängste, die Identifizierungen, die Konflikte, die Bindungen, die Trennungen, die Furcht, das Vergnügen, die Qual, das Leiden, die Glaubensüberzeugungen, die neurotischen Handlungen, das alles ist mein Bewusstsein, denn das ist sein Inhalt.

A. W. Anderson: Das sagt dasselbe aus wie: Ich bin die Welt und die Welt ist ich.

Krishnamurti: Das ist richtig. Also, das sind meine Möbel, das ist mein Gott, das ist mein Glaube in all seinen Nuancen und mit all seinen Spitzfindigkeiten. All das ist Teil meines Bewusstseins, das sagt: Ich bin. Das bin ich, ich bin die Möbel. Wenn ich sage, das sind meine Möbel, wenn ich mich damit identifiziere, dann bin ich daran gebunden, ich bin sie. Ich bin das Wissen, das ich erlangt habe, mit dem ich aufgewachsen bin, mit dem ich Erfolg hatte, das mir große Bequemlichkeit gegeben hat, ein Haus, eine Position und Macht. Das Haus bin ich. Der Kampf, den ich durchlebt habe, das Leiden, die Qual, bin ich. Es ist mein Bewusstsein.

Also ist Bewusstsein sein Inhalt. Es gibt keine Trennung in ein Bewusstsein und seinen Inhalt. Ich kann das Bewusstsein ausdehnen oder erweitern, horizontal oder vertikal, aber es ist immer noch innerhalb dieses Feldes. Ich kann es ausdehnen, indem ich sage, Gott ist unermesslich. Das ist mein Glaube. Und ich habe mein Bewusstsein erweitert, indem ich mir vorstelle, es sei erweitert. Was immer das Denken in der Welt erschaffen hat, in meinem Innern befindet sich der Inhalt. Die ganze Welt, besonders im Westen, basiert auf dem Denken. Ihre Aktivitäten, ihre Forschungen, ihre Errungenschaften, ihre Religionen sind im wesentlichen das Resultat des Denkens, mit all seinen Bildern. Das ist also der Inhalt des Bewusstseins.

Was ist Tod?

Daraus entspringt die Frage: Was ist Tod? Ist der Tod das Ende des Bewusstseins mit seinem Inhalt? Oder ist der Tod eine Fortdauer dieses Bewusstseins? Ihr Bewusstsein unterscheidet sich nicht von meinem. Es mag kleine Unterschiede, kleine Veränderungen geben, ein wenig Erweiterung, etwas Verkleinerung. Aber im wesentlichen ist Bewusstsein sowohl Ihres als auch meines, denn ich bin an mein Haus gebunden und Sie an Ihres. Ich bin an mein Wissen, an meine Familie gebunden. Ich bin verzweifelt, ob ich in Indien, England oder in Amerika lebe, wo auch immer, so dass das Bewusstsein gemeinsam ist. Dies ist unwiderlegbar.

Sehen Sie, was geschieht. Ich habe diesen Inhalt niemals geprüft. Ich habe ihn niemals aus der Nähe betrachtet, und ich habe Angst. Angst vor etwas, das ich den Tod nenne, das Unbekannte. Lassen Sie es uns für einen Moment das Unbekannte nennen. Ich habe also Angst. Es gibt darauf keine Antwort. Jemand kommt vorbei und sagt: »Ja, mein Freund, es gibt ein Leben nach dem Tode.

Ich habe Beweise dafür. Ich weiß, dass es existiert, denn ich bin meinem Bruder, meinem Sohn begegnet.« Wir werden gleich darauf eingehen. Ich also, ängstlich, besorgt, furchtsam, krank, akzeptiere das sofort freudig und sage: »Ja, es gibt Reinkarnation. Ich werde im nächsten Leben wiedergeboren, und dieses Leben ist mit Karma verbunden.« Das Wort Karma bedeutet handeln, nichts weiter, nicht das ganze Geschwätz, das damit verbunden ist, lediglich handeln.

Reinkarnation

Und nun sehen Sie, was dazugehört – das heißt, wenn ich an Reinkarnation glaube –, das ist dieses Bewusstsein mitsamt seinem Inhalt, welches das Ich, mein Ego, mein Selbst, meine Aktivitäten, meine Hoffnungen und mein Vergnügen ist. All das ist mein Bewusstsein. Und dieses Bewusstsein – das mein und dein, sein und ihr gemeinsames Bewusstsein ist – wird im nächsten Leben wiedergeboren werden. Das wird im nächsten Leben wiedergeboren. Und sie sagen, wenn du dich jetzt anständig benimmst, wirst du im nächsten Leben belohnt werden. Das ist Teil der Kausalität, Ursache und Wirkung. Benimm dich also, sonst wirst du im nächsten Leben bestraft werden.

Du wirst belohnt, wenn du dich wohl verhältst. Die ganze östliche Welt basiert auf Reinkarnation und glaubt daran. Was geschieht also? Ich habe Trost gefunden in einem Glauben, der mir sagt, verhalte dich jetzt richtig, sei jetzt ein guter Mensch, verletze jetzt niemanden, aber in Wirklichkeit führe ich es nicht durch. Ich kann es hinauszögern, es verschieben und mich schlimm benehmen.

A. W. Anderson: Denn wir sind ja alle dazu ausersehen, es am Ende doch zu schaffen. Was bedeutet, dass die Unmittelbarkeit und Dringlichkeit des Handelns überhaupt nicht begriffen worden ist.

Krishnamurti: Das ist richtig. Die Hindu waren wahrscheinlich die Urheber dieser Idee von Ursache und Wirkung. Die Wirkung wird durch die nächste Ursache verändert werden, und so entsteht diese endlose Kette. Und wenn sie endlos ist, werden wir sie irgendwann unterbrechen. Darum ist es egal, was Sie jetzt tun. Solch ein Glaube spendet großen Trost, denn er verspricht uns unser Weiterleben. Wir werden unseren Bruder, unsere Frau oder unseren Mann, oder wen auch immer, wiedersehen. Und in der Zwischenzeit beunruhige dich nicht allzu sehr und nimm das Leben nicht allzu ernst. Amüsiere dich gut, genieße es. Oder tu, wozu du Lust hast, bezahle ein bisschen dafür im nächsten Leben, aber mach weiter so.

A. W. Anderson: Ich sprach darüber mit einem sehr bekannten Hindu-Lehrer und habe genau diesen Punkt, den Sie eben betonten, erwähnt und meinte, es würde ihn beeindrucken. Ich sagte, es gäbe keine Hoffnung, dieses Wiederholen zu stoppen, wenn nicht sofortiges Handeln stattfindet. Und darum könne es hinsichtlich des Bewusstseinsinhaltes eines ganzen Volkes, das sich in diesem Begriff sonnt, kein wirkliches Interesse daran und nur endlose Wiederholung geben. Er hat nur gelacht, als ob ich irgendetwas wahrgenommen hätte, worüber die meisten sich offensichtlich ihre Köpfe nicht zerbrechen. Aber das Außergewöhnliche für mich war, dass er keinerlei Beunruhigung über das zeigte, was er mit seinem Intellekt erkannt hatte.

Krishnamurti: Es sind Heuchler, wenn sie das glauben und völlig konträr handeln.

A. W. Anderson: Ja, im strikten biblischen Sinne. Wir könnten in unserem nächsten Gespräch mit dem Thema Tod fortfahren.
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