befriedigung

Befriedigung

Bevor wir weitergehen, würde ich gerne fragen, welches Ihr grundlegendes und ständiges Lebensinteresse ist. Lassen wir alle unaufrichtigen Antworten beiseite, und befassen wir uns direkt und ehrlich mit dieser Frage. Was würden Sie antworten? Wissen Sie es?

Gilt Ihr Hauptinteresse nicht Ihnen selbst?

Das wäre jedenfalls die Antwort, die die meisten Menschen geben würden, wenn sie aufrichtig wären. Ich bin an meinem Vorwärtskommen interessiert, an meinem Geschäft oder Beruf, an meiner Familie, an dem kleinen Winkel, in dem ich lebe. Für mich ist es wichtig, eine bessere Stellung, mehr Ansehen, mehr Macht, mehr Herrschaft über andere zu erlangen, und so fort. Ich glaube, es wäre natürlich, uns einzugestehen, daß es das ist, woran die meisten von uns hauptsächlich interessiert sind: zuerst »Ich«. Einige von uns meinen vielleicht, daß es falsch sei, in erster Linie an sich selbst zu denken.

Aber was ist daran falsch, abgesehen davon, daß wir es selten offen und ehrlich zugeben?

Wenn wir es tun, sind wir darüber ziemlich beschämt. So ist es nun einmal – man ist hauptsächlich an sich selbst interessiert, und aus verschiedenen ideologischen oder traditionellen Gründen denkt man, daß das falsch sei. Aber was man darüber denkt, geht an der Sache vorbei.

Warum der Auffassung sein, daß das falsch sei?

Das ist eine Idee, ein Begriff. Die Tatsache ist, daß man im wesentlichen und ständig an sich selbst interessiert ist.

Sie mögen sagen, daß es befriedigender sei, anderen zu helfen, als an sich selbst zu denken. Worin liegt der Unterschied?

Auch das ist Ichbezogenheit. Wenn es Ihnen größere Befriedigung gibt, anderen zu helfen, befassen Sie sich eben damit, weil es Sie mehr befriedigt.

Warum soll man eine ideologische Vorstellung hineinbringen?

Warum dieses zwiespältige Denken?

Warum sagen wir nicht: »Was ich tatsächlich wünsche, ist Befriedigung, entweder im Sexuellen oder indem ich anderen helfe oder indem ich ein großer Heiliger, Wissenschaftler oder Politiker werde«?

Es ist der gleiche Prozeß, nicht wahr?

Befriedigung auf jede nur mögliche Art, versteckt oder offen, ist das, was wir wünschen. Wenn wir sagen, daß wir Freiheit haben möchten, verlangen wir danach, weil wir glauben, daß es wundervoll befriedigend wäre. Und die höchste Befriedigung gibt natürlich diese seltsame Vorstellung der Selbstvollendung. In Wirklichkeit suchen wir einen Zustand der Zufriedenheit, in dem es überhaupt keine Unzufriedenheit mehr gibt.

Immer Aufwärts

Die meisten Menschen brauchen das erhebende Gefühl, einen hohen Rang in der Gesellschaft einzunehmen, weil wir uns davor fürchten, ein »Niemand« zu sein. Die Gesellschaft ist so aufgebaut, daß ein Bürger, der eine geachtete Stellung hat, mit großer Höflichkeit behandelt wird, wohingegen ein Mensch, der keine besondere Stellung einnimmt, herumgestoßen wird. Jedermann in der Welt verlangt nach einer hohen Position, sei es in der Gesellschaft, in der Familie oder zur rechten Hand Gottes, und dieser Rang muß von anderen anerkannt werden, sonst ist er nichts wert.

Wir wollen immer auf dem Podium sitzen. Im Innern sind wir ein Gewirr von Elend und Unglück, und darum ist es äußerst wohltuend, draußen als wichtige Person zu gelten. Dieses Verlangen nach Rang, nach Ansehen, nach Macht, dieser Wunsch, in der Gesellschaft als etwas Besonderes anerkannt zu werden, ist das Verlangen, über andere emporzuragen und sie zu beherrschen, und dieser Wunsch ist eine Form der Aggression.

Der Heilige, der in Anbetracht seiner Heiligkeit eine hohe Position zu erlangen sucht, ist ebenso aggressiv wie das Huhn, das auf dem Bauernhof um sich hackt.

Und was ist die Ursache dieser Aggressivität?

Es ist die Furcht, ist es nicht so?

Bild: Michelangelo – Decke der Sixtinischen Kapelle

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