Das Tor zum Neuem Leben – Um zu verstehen, was wir an diesem und an den folgenden Abenden eingehend betrachten werden, ist ein klarer Geist erforderlich, der unmittelbarer Wahrnehmung fähig ist. Verständnis ist nicht irgend etwas Geheimnisvolles; aber es erfordert einen Geist, der fähig ist, auf die Dinge direkt, ohne Vorurteil, ohne persönliche Neigungen und Meinungen zu schauen. Leider sind die meisten von uns voreingenommen, so daß es für uns schwer ist, unmittelbar zu verstehen und das Wahre augenblicklich zu sehen. Ich möchte über etwas sprechen, das nicht leicht zu erklären ist. Aber man mußWorte gebrauchen, undWorte bringen eine Schwierigkeit mit sich, weil sie auf so vielfältige Art verdreht werden können, und zudem ist das Wort nicht die Sache. Das Wort ist niemals die Sache selbst, es ist nur ein Hilfsmittel. Es ist oder sollte so sein, als ob man durch eine offene Tür schaut. Aber wenn wir an den Worten hängenbleiben, dann können wir nicht vorankommen, besonders in Fragen, die nicht technischer Natur sind. Es ist ziendich leicht, eine bestimmte Technik zu erklären, indem man die entsprechenden Fachausdrücke benutzt. Aber hier brauchen wir einen Geist, der nicht behindert ist, die Dinge zu sehen, wie sie sind, einen Geist, der fähig ist, jegliches Ding ohne die Färbung seiner eigenen Voreingenommenheit zu prüfen.
Was ich an diesem Abend zu sagen wünsche, betrifft eine innere Revolution, eine Zerstörung der psychologischen Struktur der Gesellschaft, die wir sind. Wir sind selbst das seelische Gefüge der Gesellschaft. Die Gesellschaft mit ihren Bestrebungen, ihrem Neid, ihrem Trachten nach Erfolg ist nicht nur die äußere Zurschaustellung der Verhältnisse. Die Gesellschaft ist weit mehr ein innerer Zustand, sie ist in jedem von uns tief verwurzelt. Diese psychologische Gesellschaftsstruktur bindet uns, sie formt unseren Geist, unsere Gedanken, unsere Gefühle, und ohne sie in uns vollkommen zu zerstören, können wir unmöglich frei sein, um zu entdecken, was wahr ist. Aber die Zerstörung dieser psychologischen Gesellschaftsstruktur, die Sie und ich sind, geschieht nicht durch Anstrengung. Das zu verstehen ist für die meisten Menschen eines der schwierigsten Dinge.
Ich gebrauche das Wort „verstehen“ nicht in irgendeinem mystischen oder geheimnisvollen Sinne. Wenn Sie entspannt sind, wenn Sie einfach zuhören und ihren Geist einer Sache zuwenden, verstehen Sie sie ziemlich leicht und schnell. Aber Sie sind so daran gewöhnt, sich anzustrengen, daß es Ihnen schwer fällt, mich zu verstehen, wenn ich über ein Leben spreche, das anstrengungslos ist.
Das innere Gefüge der Gesellschaft ist das, was wir sind, was wir denken, was wir fühlen – der Neid, der Ehrgeiz, der ewige Kampf, der durch den Widerspruch hervorgerufen wird, sowohl bewußt wie unbewußt -, und darin sitzen wir fest. Wir glauben, daß wir uns sehr anstrengen müssen, um da hindurchzustoßen. Aber Anstrengung bringt immer Konflikt und Widerspruch mit sich. Wenn kein Widerspruch da ist, gibt es keine Anstrengung: dann leben Sie. Aber Widerspruch ist da und wird durch das psychologische Gefüge der Gesellschaft, in der wir leben, hervorgebracht. In jedem von uns ist bewußt oder unbewußt ständig ein Zwiespalt, geht jederzeit ein Kampf vor sich. Ich glaube nicht, daß es uns möglich ist, ein volles Leben jenseits des Verstandes zu führen oder es zu verstehen, wenn wir nicht zuvor diese ganze psychologische Struktur vollkommen durchschaut haben und hindurchgebrochen sind.
Sehen Sie, die Welt wird immer oberflächlicher. Auf der ganzen Erde nimmt der Wohlstand zu. Es gibt den Wohlfahrtsstaat, und nach allen Seiten werden große Fortschritte gemacht. Aber im Innern sind wir mehr oder weniger gleich geblieben, folgen wir denselben alten Methoden, denselben Glaubensformen. Wir mögen unsere Dogmen gelegentlich in Anpassung an die Verhältnisse ändern; dennoch führen wir ein oberflächliches Leben. Wir kratzen nur immer an der Oberfläche herum und gehen niemals tiefer. Und wie klug wir in einer seichten Art auch sind, wieviel Wissen oder Kenntnisse wir über so viele Dinge auch haben mögen – ich sehe nicht, wie wir frei und damit schöpferisch sein können, solange wir nicht das ganze seeliche Gefüge in der Tiefe unseres Seins vollkommen umwandeln.
So möchte ich gerne an diesem Abend mit Ihnen erwägen, wie eine Revolution, eine seelische Revolution ohne Anstrengung vollbracht werden kann. Ich gebrauche das Wort „Anstrengung“ im Sinne des Strebens, des Versuchs, etwas zu erreichen, etwas zu werden; ich gebrauche es in bezug auf einen Menschen, der in Widersprüche verwickelt ist, der kämpft, um zu überwinden, um sich zu disziplinieren, sich gleichzuschalten, sich anzupassen, eine Wandlung in sich hervorzubringen – ich gebrauche das Wort „Anstrengung“, indem ich das alles einbeziehe.
Ist es nun möglich, eine alles umfassende Revolution ohne Anstrengung hervorzubringen, nicht nur im bewußten Geist, sondern auch in der Tiefe des Unbewußten? Denn wenn wir eine Anstrengung machen, um eine innere Revolution zu vollbringen, liegt darin Zwang, Beeinflussung, ein Motiv, eine Zielsetzung, und das alles ist die Folge unserer Begrenzung.